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„Die Weltorganisation wird eine Art Rotes Kreuz…"

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Am 20. September begann die 32. Sitzungsperiode der UNO-Vollversammlung in New York. Nicht weniger als 122 Traktandenpunkte stehen auf dem Programm. Ein Drittel der „Themen“ bezieht sich auf Prozeduren der Weltorganisation: Budget, Wahlen, Beglaubigungsschreiben, Berichte von internationalen Organisationen, Konferenzpläne usw. Die übrigen 80 bergen viel politischen Zündstoff: 20 beinhalten brisante Aspekte der Abrüstung; Südafrikas Apartheid-Politik wird im Mittelpunkt der Debatten stehen und es steht jetzt schon fest, daß sie mit großer Mehrheit verurteilt werden wird. Daneben nimmt das Palästinaproblem breiten Raum ein. Auch die Situation in Südrhodesien wird Zielscheibe heftiger Angriffe sein, natürlich auch die Lage in Zypern. Wahrscheinlich wird jedoch keine Diskussion über Korea stattfinden, obwohl gewisse Kräfte unermüdlich darauf drängen.

Eines der interessantesten Traktanden ist die Ausarbeitung einer internationalen Konvention gegen den Terrorismus. Die Anregung dazu hat die Bundesrepublik anläßlich der letzten Generalversammlung gemacht Es wurde ein Komitee mit 35 Mitgliedern ins Leben gerufen, um diesen Problemkomplex zu „analysieren“. Möglich, daß die Delegierten ein Abkommen erzielen können. Skeptiker sind anderer Meinung: Sie argumentieren, daß die Vollversammlung seit etlichen Jahren nicht einmal den Begriff „Aggression“ definieren konnte.

Die UNO ist durch den internationalen Terrorismus praktisch blockiert. UN-Generalsekretär Kurt Waldheim hat bereits im Herbst 1972 angeregt Maßnahmen zur Verhinderung des Terrorismus zu beschließen. Ein Spezialkomitee wurde gebildet Resultate konnten aber keine erzielt werden. Das Spezialkomitee wurde im Jahre 1973 wieder einberufen, die Vollversammlung „konnte die Materie wegen Zeitmangels jedoch nicht prüfen“ - weder 1973 noch 1974 und 1975! Endlich hat sich die UNO-Vollversammlung im letzten Jahr soweit aufgerafft,

ihre „tiefe Sorge wegen Anwachsen der internationalen Terrorakte, ~die unschuldiges Leben gefährdet, ausgelöscht und fundamentale Freiheiten in Frage gestellt haben“, zu bekunden.

Was würde geschehen, wenn zum Beispiel Kurt Waldheim entführt werden sollte, fragten sich nicht wenige Delegierten. Voraussichtlich würde der Sicherheitsrat zur Notsession zusammentreten. Zweifellos würde der Sicherheitsrat die Verschleppung des UNO-Generalsekretärs verurteilen, könnte aber nur wenig oder gar nichts für seine Befreiung tun.

Waldheim betonte wiederholt, daß die Vereinten Nationen keine Weltre gierung seien, da sie keine exekutive Macht besitzen, weder über eine eigene Armee noch über eine Polizei verfugen. Viele glaubten, daß sie zumindest ein „Weltparlament“ seien. Ebenfalls ein Mißverständnis! Die Vollversammlung ist lediglich ein Forum, in dem Repräsentanten der verschiedenen Länder die Haltung ihrer Regierungen klarmachen können!

Die Aufgabe des UNO-Generalsekretärs ist ein „unmögliches Geschäft“: Waldheim hat nicht weniger als 147 Chefs, die Regierungsoberhäupter der Mitgliedstaaten, darunter der USA, der UdSSR und Chinas genauso die Präsidenten von Uganda,

Angola und Libyen. Die Generalversammlung wird diesmal für die Zulassung des 148. „Chefs“ plädieren: das Staatsoberhaupt von Vietnam.

Vor 32 Jahren haben die Länder noch geglaubt, daß die UNO die Menschheit von der Geißel eines neuen Krieges bewahren würde. Politiker von Weltformat haben jedoch sofort eingesehen, daß die UNO ohne Exekutivmacht nicht fähig sein kann, den Frieden in einer kriegerischen Welt zu wahren. Sir Winston Churchill und General Charles de Gaulle gingen niemals zur UNO. Zwar ist in den vergangenen drei Dekaden der dritte

Weltkrieg nicht ausgebrochen, aber dies ist in erster Linie der Atombombe und damit der „Balance des Terrors“ zu verdanken.

Verschiedene Experten wiesen auf die dringende Notwendigkeit hin, daß die UNO „veijüngt“, die Struktur der Weltorganisation „aerodynamisiert“ und der Sicherheitsrat transformiert werden müßten! Der Sicherheitsrat hat gegenwärtig 15 Mitglieder: neben den Großmächten USA, UdSSR, China, Großbritannien und Frankreich, die ein „Vetorecht“ besitzen, zehn weitere, immer auf zwei Jahre gewählte Mitglieder, die - nach Gewohnheitsrecht - eine geographische Region vertreten; fünf Mitglieder sind aus Afrika und Asien, zwei aus Lateinamerika, zwei aus Westeuropa und der industrialisierten Welt und eines aus Osteuropa. ÜNO-Beobachter empfehlen, daß große Länder, wie Brasilien, Indien und Nigeria, ständige Mitglieder des Sicherheitsrats werden sollten.

Während der 32. Session wird viel von Abrüstung die Rede sein. Es dürfte ein Schlag ins Wasser werden. Die Chinesen behaupten, daß die Sowjetunion „versucht, einen Nebelvorhang zu bilden“, indem sie „von Abrüstung spricht und sich gleichzeitig bis an die Zähne bewaffnet“. China will in keinem Komitee für Abrüstung mitwirken.

Andere bemerkenswerte Themen dieser Vollversammlung sind: Benützung des Weltraums; künstliche Satelliten für direkte Femsehübertragun- gen; Friedensoperationen; Eliminierung der rassischen Diskriminierung; Folter und andere verbrecherische Handlungen; die Frage Namibiens in Südwest-Afrika; die Finanzkrise der UNO; Informationsfreiheit; Probleme der Umweltverschmutzung; wirtschaftliche Entwicklungsprobleme; Welternährung; Fragen der Jugend, Frauen und älterer Menschen sowie der Flüchtlinge. Ein UNO-Diplomat und Kommentator ätzte: „Die Weltorganisation wird eine Art Rotes Kreuz…“

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