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Die Winkel der Vergangenheit

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chen Winkeln der Vergangenheit liegen Argumente griffbereit. Mit ihnen können gegenwärtige Emotionen mit Kraft versorgt werden. Man sieht: es geht um Politik.

Diese wird gerne durch Sprachgebrauch gelenkt. Begriffe, richtig gewählt, können nicht vorhandene Einheiten als Tatsachen der Vergangenheit suggerieren. Die Jüngeren wissen in diesem Falle nicht mehr, daß sie es mit einer (falschen) Kategorie, nicht aber mit der Wirklichkeit zu tun ha- 'ben. Für die Simplifizierer sind dadurch die Möglichkeiten der Schwarz-Weiß-Malerei gegeben. Der Nutzen ist augenscheinlich: der Feind erscheint dunkel und mächtig, doch umso stärker strahlt das eigene politische Lager.

Die Fälschung ist wirksam. Zu wenige interessieren sich für die Wirklichkeit. Diese war allerdings vielfältig und widerspruchsvoll. Ein Beispiel für die vielen Antagonismen der Zeit liefert der Kampf des italienischen Faschismus gegen den deutschen Nationalsozialismus. Noch stärker war der Widerspruch zwischen den autoritär-konservativen Systemen der Zwischenkriegszeit und ihren beiden politischen Gegnern. Engelbert Dollfuß kämpfte gegen den nationalen Sozialismus nicht weniger heftig als gegen den marxistischen Sozialismus.

Für diesen Kampf habe ich vor einigen Jahren ein Beispiel gefunden. Es betrifft das Burgtheater, das damals nicht minder Forum der Staatspolitik war wie gegenwärtig.

In den Jahren 1934 bis 1938 entwickelte das Burgtheater ein betont österreichisch-mitteleuropäisches und also eo ipso gegen die deutsch-nationale Idee gerichtetes Programm. Russische Freunde gaben mir Gelegenheit, über diese kulturpolitische Nebenfront des Abwehrkampfes des autoritär-konservativen Systems gegen den nationalen Sozialismus in Moskau einiges zu sagen. Ich zitiere auš meinem Vortrag, gehalten am 29. Mai 1981 im Gorkij-In- stitut für Weltliteratur der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften, später abgedruckt in der Zeitschrift „Innostranaja Literatūra“:

„Mit dem Erstarken von Hitler- Deutschland versuchte die autori- tär-ultra-konservative politische Führung außerhalb des Landes Verbündete zu suchen. Im Faschismus italienischer Prägung sah man eine brauchbare - und für die damals Regierenden auch sympathische — Alternative zum Nationalsozialismus. Das Burgtheater als Instrument der staatlichen Kulturpolitik versuchte nach der Übernahme der Direktion durch Hermann Röbbeling (1932) diesen Überlegungen Rechnung zu tragen. Man erweiterte das Repertoire um die Stücke italienischer und südosteuropäischer Autoren, wobei heute vergessene Stücke eindeutig politischer Natur ebenso auf die Bühne kamen wie einige bis dahin in Österreich vernachlässigte Werke von großer Bedeutung.

Bereits 1933 erschien das vergessene Stück .Verstehen wir uns?* des kroatischen Patrioten und k. u. k. Generals Petar von Preradovič auf dem Spielplan. Im selben Jahr begann das Theater mit dem Zyklus .Stimmen der Völker im Drama*. Zuerst kam Italien an die Reihe mit einem Stück über Napoleon. .Hundert Tage* lautet der Titel, und als Autoren zeichneten Benito Mussolini und Giovacchino Forzaro, wobei der italienische Diktator, der nun in Erinnerung an seine journalistische Laufbahn als Dramatiker auftrat, mit der Hilfe seines Koautors versuchte, für die faschistische Heldenverehrung ein Beispiel zu liefern. 1934 kam ein bedeutendes, in Ungarn noch heute vielgespieltes Werk auf die Bühne: ,Die Tragödie des Menschen* von Imre Madäch. Im selben Jahr zeigte man außerhalb des Zyklus das Stück ,Das Kamel geht durch ein Nadelöhr* des in Österreich immer noch nicht vergessenen liebenswürdigen tschechischen Dramatikers Frantisek

Das kommende Jahr 1988 wird die Historiker, in ihrem Schatten aber auch die Geschichtsfälscher, auf den Plan rufen. Die Gründung der Republik Österreich vor siebzig, ihre Annektion durch Hitler- Deutschland vor vierzig Jahren: der Anlaß will wahrgenommen werden. Es geht um die Genesis des Staates, in dem wir leben; auch um seinen Untergang. Das Geschichtsbild färbt unsere Begriffe von der Gegenwart. In man-Langer.

Zwei Jahre später spielte man, wieder im Zyklus, ,Die ungöttliche Komödie* des polnischen Klassikers Zygmund Kraszinsky, in einer Übersetzung meines späteren väterlichen Freundes Franz Theodor Csokor, der nach 1938 in der Emigration als einer der Vorkämpfer gegen Hitler-Deutschland wirkte. Auch die Stimme der russischen Literatur fehlte nicht. Tolstojs ,Der lebende Leichnam* spielte man 1937.

, Jra .gleichen. Jahr 1937,. inv drohenden Schatten der Okkupation Österreichs durch Hitler- Deutschland, kam Csokors Drama .Dritter November 1918* zur Premiere: ein bis heute immer wieder aufgeführtes Stück, in dem die • Verbindungen zwischen den Völkern Südosteuropas anhand einer realistischen Handlung auch allegorischen Ausdruck finden.“

So weit die entsprechenden Teile des Vortrags. Ihm folgte ein langes Gespräch im Klub der sowjetischen Autoren. Nachher sahen wir die Dinge besser, schärfer, auch irritierender. Es herrschte für ein paar Minuten eine Klarheit wie bei Dostojewski.

An diese Klarheit möchte ich vor dem Gedenkjahr 1988 erinnern. An eine grausame Zeit mit ihren schwärmerischen und mörderischen Propheten. An den Kampf der Nationalsozialisten gegen die Faschisten, an den Kampf der Kommunisten gegen die Sozialdemokraten. Und umgekehrt. Wer hier Schwarz-Weiß- Malerei betreibt, betrügt sich selbst, betrügt auch uns. Man müßte es, wie im Kindergarten, den Herren Simplifikateuren wiederholen: Mussolini war Faschist, Dollfuß war der Kanzler eines autoritär-konservativen Staates, Hitler war Nationalsozia- list, und so weiter.

Taschenkünstler und Gaukelspieler der Ideologie können freilich alles mit dem Wort „Faschismus“ subsummieren. Bloß werden sie sich die Frage gefallen lassen müssen, warum die einen „Faschisten“ die anderen „Faschisten“ bekämpft und also warum die Anhänger Hitlers den österreichischen Bundeskanzler Dollfuß ermordet haben.

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