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Die Wirtschaft zur Jahreswende

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Nicht erst seit einigen besonders spektakulären Kündigungen in der letzten Zeit interessiert sich die Öffentlichkeit ganz besonders für die weitere Entwicklung der österreichischen Wirtschaft, vor allem aber für die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Die Erwartungen der niederösterreichischen Wirtschaftstreibenden sind zur Zeit durch einen gemäßigten Optimismus, aber auch durch Unsicherheit gekennzeichnet.

Konjunkturerwartungen gedämpft optimistisch

Wie alljährlich hat die Handelskammer Niederösterreich auch heuer wieder „Konjunkturgespräche“ veranstaltet, bei denen rund 40 Vertreter der wichtigsten Branchen Gelegenheit hatten, sich über ihre derzeitige Lage und über ihre Erwartungen für die Entwicklung im kommenden Jahr zu äußern. Wie diese Gespräche ergeben haben, erwarten die niederösterreichischen Unternehmer für 1979 eine Fortsetzung des bescheidenen Aufschwungs der letzten Monate.

Allerdings zeigen sich bei einzelnen größeren Unternehmungen schwere Krisenerscheinungen, die meist struktureller Art sind und weitgehend auf internationalen Überkapazitäten und sinkendem Bedarf beruhen. In mehreren Fällen konnte die Freisetzung einer beträchtlichen Zahl von Arbeitskräften nicht vermieden werden. Bisher konnten diese Arbeitskräfte allerdings fast ausnahmslos in Klein- und Mittelbetrieben, vor allem des Dienstleistungsbereiches, untergebracht werden.

Der Arbeitsmarkt ist vorerst nur teilweise entspannt. In vielen Betrieben herrscht ein Mangel an Facharbeitern und insbesondere an Führungskräften.

Zum Teil sind nicht einmal Hilfsarbeiter, die einigermaßen den Anforderungen entsprechen, vorhanden. Mehr denn je trägt der Arbeitsmarkt den Stempel einer Differenzierung nach der Qualität, d. h. nach dem Grad der Ausbildung und der Arbeitswilligkeit. Die Lehrlingsanwärter konnten ausnahmslos untergebracht werden, die Zahl der Gastarbeiter geht ständig zurück. Innerbetriebliche Lohnforderungen wurden nur mehr vereinzelt erhoben; man wertet dies als Anzeichen dafür, daß den Mitarbeitern in den Betrieben die schwache allgemeine Wirtschaftslage bewußt geworden ist und sie Zurückhaltung üben, weil ihnen ein sicherer Arbeitsplatz wichtiger ist als ein höherer Lohn. Insgesamt ist aber der Arbeitsmarkt in Niederösterreich durch ganz erhebliche regionale Differenzierungen gekennzeichnet. Während die Situation im Bereich um Wien und südlich von Wien günstig ist, gibt es in den Randbereichen der Grenzgebiete, vor allem im Wald- und

Weinviertel, gewisse Schwierigkeiten; allerdings ist in diesen Gebieten die Arbeitslosigkeit im Winter schon seit vielen Jahren relativ hoch.

Über den Export wurde berichtet, daß der aus der Statistik hervorgehende quantitative Aufschwung insofern täuscht, als die erzielten Preise meist außerordentlich schlecht sind. Die laufend steigenden Arbeitskosten behindern die Wettbewerbsfähigkeit immer mehr, was auch im Vordringen von Importwaren zum Ausdruck kommt. Der in aller Welt zunehmende Protektionismus äußert sich einerseits in vom Ausland gestützten Niedrigpreisexporten nach Österreich, anderseits in zunehmenden Handelshindemissen, auf die österreichische Waren im Ausland stoßen. Schon allein vom Standpunkt der Zahlungsbilanz her muß auf eine Begrenzung der Kostenbelastung gedrungen werden. Beklagt werden in diesem Zusammenhang das im Vergleich zum Ausland nach wie vor zu hohe Zinsniveau und die zu niedrigen Exportförderungskredite.

Trotz der im großen und ganzen nicht ungünstig erscheinenden Lage, die in einer verbesserten Kapazitätsauslastung und in einem gestiegenen Auftragsstand zum Ausdruck kommt, gibt es für das Jahr 1979 nur bescheidene Investitionsabsichten, die sich meist auf Ersatz- und Rationalisierungsinvestitionen beschränken. Allerdings erwarten die Unternehmer, daß sich die Preise im kommenden Jahr nur im Ausmaß der Inflationsrate erhöhen werden.

Eine Sonderentwicklung ergibt sich offensichtlich in der Bauwirtschalt. Wegen der Knappheit an Förderungsmitteln in der Wohnbauförderung werden größere Vorhaben kaum noch begonnen und Einfamilienhäuser meist in Schwarzarbeit errichtet. In den meisten Betrieben gibt es mehr freie Kapazitäten als je zuvor. Die Bauindustrie klagt über mangelnde Anschlußaufträge für Großvorhaben und sucht daher auch kleine Aufträge, wodurch sie in diesem Bereich die Gewerbebetriebe gelegentlich verdrängt. Die

Produktion der Baustoffindustrie ist in fast allen Bereichen rückläufig. Im Baustoffhandel haben die zahlreichen Insolvenzen in der Bauwirtschaft eine zunehmende Verunsicherung ausgelöst.

Aus den Äußerungen der Vertreter der Kreditwirtschaft geht hervor, daß die Entwicklung der Spareinlagen erwartungsgemäß weiterhin steigt, jedoch wird dies eher als eine Folge der geringen Konjunkturerwartungen betrachtet. Hinsichtlich der Investitionen der Produktionsbetriebe wird eine allgemeine Zurückhaltung beobachtet; bei den Krediten handelt es sich häufig um die Überbrückung von zum Teil erheblichen Liquiditätslücken. Die Ertragslage der Wirtschaft hat sich bestenfalls auf niedrigem Niveau stabilisiert. Im mittelständischen Bereich treten Fälle von übermäßiger Verschuldung zu Tage, die oft zu Insovenzen führen. In zunehmende Schwierigkeiten kommen Betriebe, die in den letzten Jahren mit öffentlicher Hilfe in den Grenzgebieten angesiedelt wurden. Arbeitskräftefreisetzungen wurden zum Teil durch Zuschüsse der Arbeitsmarktverwaltung vermieden.

Nach dem Urteil der Kreditinstitute dürften in absehbarer Zeit vermehrt betriebliche Schwierigkeiten zum Ausdruck kommen. Was die Lage der Kreditinstitute selbst anbelangt, so scheint die Zinssenkung zum Stillstand gekommen zu sein. Wie die Entwicklung weiter gehen wird, hängt zum Teil von der bevorstehenden gesetzlichen Neuregelung des Kreditwesens ab. Die Liquidität ist durchaus ausreichend. Die Welle der Filialgründungen auf Grund der faktischen Freigabe seit dem Juni 1977 scheint im wesentlichen abgeschlossen zu sein und lediglich die Banken dürften in einzelnen Bezirksstädten noch Niederlassungen errichten.

Allgemein sind die Unternehmererwartungen jedenfalls von Unsicherheit gekennzeichnet, von einer Unsicherheit, die einerseits auf die derzeitige wirtschaftliche Situation, anderseits aber vor allem auch auf die Wirtschaftspolitik Oer Bundesregierung zu-

rückzuführen ist. Gerade die stark mittelständisch ausgerichtete niederösterreichische Wirtschaft hat die zahlreichen neuen Belastungen der letzten Jahre als besonders drückend empfunden, vor allem das 2. Abgabenänderungsgesetz und die Lkw-Steuer.

Mit Besorgnis beobachtet daher die Wirtschaft das ständige Ansteigen des Defizrtes des Bundeshaushaltes, auf das diese Belastungswelle zurückzuführen ist.

Die weiterhin fortgesetzte sozialpolitische Expansion gefährdet in der heutigen wirtschaftlichen Lage zunehmend die Sicherheit der Arbeitsplätze.

Diskussion über

Wirtschaftssystem

provoziert

In einer Phase, in der Bestrebungen einer Umverteilung von Einkommen auf durch die wirtschaftliche Entwicklung bedingteGrenzen stoßen, treten gesellschaftspolitische Probleme in den Vordergrund. Dies kommt in der letzten Zeit vor allem darin zum Ausdruck, daß die Bundesregierung die Soziale Marktwirtschaft und damit auch das freie Unternehmertum in Frage stellt. Betriebliche Schwierigkeiten, die auf die verschiedensten Ursachen zurückzuführen sind, werden von der Bundesregierung auf dieses Wirtschaftssystem zurückgeführt, ja die Soziale Marktwirtschaft wird sogar als asozial bezeichnet, weil in westlichen Industriestaaten zur Zeit Arbeitslose vorhanden sind.

Um so wichtiger war daher die Besinnung der gesamten Handelskammerorganisation auf ihre ordnungspolitischen Grundsätze in Form des im Mai dieses Jahres beschlossenen Grundsatzprogramms. In diesem Grundsatzprogramm bekennt sich die Handelskammerorganisation voll zur Sozialen Marktwirtschaft, zur Eigeninitiative, Zur Verantwortung des einzelnen und vor allem auch zum gewerblichen Mittelstand. Sie lehnt jeden zusätzlichen staatlichen Eingriff in die Wirtschaft ab, weil damit die Freiheit der Wirt-

schaff beseitigt und damit auch die Freiheit in unserer Gesellschaft in Frage gestellt würde.

Mittelstand und Jungunternehmer

Der gewerbliche Mittelstand hat gerade in Niederösterreich besonderes Gewicht, in einem Bundesland, in dem 99 Prozent der Betriebe weniger als 100 Beschäftigte haben. Gerade diese Betriebe werden in den achtziger Jahren große Probleme zu lösen haben. Nach jüngsten Prognosen wird Niederösterreich bis zum Jahr 1986 68.000 zusätzliche Arbeitsplätze benötigen. Diese Aufgabe wird nur dann zu bewältigen sein, wenn sich die mittelständischen Betriebe daran maßgeblich beteiligen. Immerhin kann man sich leichter vorstellen, daß die über39.000Klein- und Mittelbetriebe des Landes jeweilsein biszwei zusätzliche Arbeitsplätze- schaffen werden, als daß jeder der 350 Großbetriebe Niederösterreichs je 200 Arbeitsplätze schaffen kann.

Durch'eine ganze Reihe von Förderungsaktionen hat das Land Niederösterreich seit vielen Jahren den Bestand und die Entwicklung dieser mittelständischen Betriebe in Niederösterreich gefördert, eine Wirtschaftspolitik, die in der bisherigen Aufwärtsentwicklung der gesamten Wirtschaft Niederösterreichs ihre Bestätigung gefunden hat. Diese Wirtschaftspolitik des Landes wurde von der Handelskammer Niederösterreich immer maßgeblich unterstützt, teilweise wurden Förderungsaktionen auch gemeinsam durchgeführt. Bedauerlicherwiese hat die Bundesregierung bisher nur bescheidene Ansätze gezeigt, die weitere Entwicklung der mittelständischen Betriebe zu fördern oder auch nur ihre Leistungen anzuerkennen.

Ein besonderes Anliegen der Handelskammer ist die Förderung junger Unternehmer, weil zusätzliche Unternehmer gerade in der heutigen Situation für das Land besonders wichtig sind. Durch sie kann die Sicherung der Vollbeschäftigung positiv beeinflußt werden, sie aber sind auch für die Aufrechterhaltung des Wettbewerbes und für die Versorgung der Bevölkerung notwendig. Eine Zinsenzuschußaktion der Handelskammer und des Landes für Existenzgründungen wird seit einigen Jahren mit gutem Erfolg durchgeführt.

Daneben gibt es eine Reihe weiterer Unterstützungsmaßnahmen, wie etwa die zahlreichen Ausbildungsmögliohkeiten des Wirt-schaftsförderungsinstituts und eine Beratungsstelle für Existenzgründungen. Seit Mitte dieses Jahres besteht mit maßgeblicher Unterstützung der Handelskammer auch ein eigener Verein für Jungunternehmerförderung in Niederösterreich.

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