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Die Wort Jongleure

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Der ungarische Botschafter Endre Ustor teilte in Wien schon vor Beginn der ersten MBFR-Runde mit, daß Ungarn an der geplanten Truppenreduzierungskonferenz nur als Beobachter teilnehmen wolle, womit von ihm die russische Auffassung akzeptiert wurde, wonach Ungarn nicht zum „mitteleuropäischen Raum“ gehört. Die Westmächte hielten bisher noch an ihrem Vorschlag fest, demzufolge alle Länder mit uneingeschränkten Rechten auf der Konferenz erscheinen sollen, gleichgültig, ob auf ihrem Gebiet fremde Truppen stationiert sind, oder ob sie selber in anderen Ländern Truppen stationiert haben. Bekanntlich jonglieren die Delegierten seit dem Beginn der Vorbesprechungen mit den Wörtchen „mutual“ und „balanced“, die den Sowjeteuropäern gar nicht gefallen und unannehmbar scheinen. Der sowjeteuropäische Standpunkt ist nicht nur einfach, sondern auch ziemlich naiv und kann in einen allgemein verständlichen Satz zusammengefaßt werden: Während des Kalten Krieges sei ein militärisches Gleichgewicht zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt entstanden, das sehr wohl „ausbalanciert“ sei. Die „Zerstörung des Gleichgewichts“ bedeute Unsicherheit, deshalb müßten die Truppen schrittweise, auf der Basis der Gleichheit und der Gleichmäßigkeit abgebaut werden. Die Staaten und die Völker seien „gleich“, man müsse also in allen Fällen den gleichen Maßstab anwenden. Kurzum: Sowjeteuropa hält hartnäckig an der Idee der „gleichmäßigen Truppenreduzierung“ fest.

Wie steht es aber in Wirklichkeit mit dem angeblichen militärischen Gleichgewicht in Mittel- und Osteuropa? östlich des Eisernen Vorhangs befindet sich etwas mehr als eine Millionen Soldaten unter Waffen, darunter 650.000 Sowjetrussen. Westlich des Vorhangs stehen 580.000 Soldaten, darunter 140.000 amerikanische. Der'Warschauer Pakt verfügt

derzeit über mehr als 67 sofort und voll einsatzfähige Divisionen, wovon 41 russische sind. Die Zahl der NATO-Divisionen beträgt derzeit 24, wovon 4,5 zur amerikanischen 7. Armee gehören.

Im Falle einer Mobilisierung kann das Oberkommando des Warschauer Paktes in erstaunlich kurzer Zeit die Zahl der Kampfdivisionen auf 103, davon 43 Panzerdivisionen, erhöhen. Das NATO-Oberkommando könnte nach der Mobilmachung über 43 Divisionen verfügen, inklusive 14 Pan-zerdividionen.

In Ostdeutschland stationieren zur Zeit 20 sowjetische Divisionen, in Polen mindestens 2, in der CSSR 5 und in Ungarn, wo die Zahl der Formationen im Süden vergrößert wurde, etwas mehr als 4. Der Warschauer Pakt verfügt über mehr als 20.000 Panzer, davon die Hälfte russische. Die Panzerkräfte sind in der DDR, der Tschechoslowakei und in Polen — 15.000 Panzer! — konzentriert. In Ungarn wurden 2000 Panzer festgestellt, davon 1000 russische. Rumänien und Bulgarien verfügen zusammen über mindestens 3000 Panzer. Die NATO besitzt im Mittelabschnitt 6000 einsatzbereite Panzer,

weitere 4000 stehen in Reservedepots. Die westliche Militärallianz hat außerdem insgesamt 2000 Panzer in der Türkei, in Griechenland und in Italien.

1972 übergaben die Russen der Koalitionsarmee 1050 T-62-Panzer, die mit 115-mm-Geschützen ausgerüstet sind. Die älteren Typen (T-34, T-54 und T-55) wurden von den Einheiten teilweise abgezogen, nicht aber abtransportiert, sondern den „Gastländern“ übergeben, in denen die Sowjettruppen sich nun seit 27 Jahren „nur vorübergehend“ und „auf Einladung“ der einheimischen kommunistischen Herrscher aufhalten.

Obwohl die Geschützkaliber der amerikanischen M-60, der englischen Chieftain- und der westdeutschen Leopardpanzer kleiner sind als jene der sowjetischen, sind die westlichen Panzer allerdings besserer Qualität.

Die Luftwaffe des Warschauer Paktes verfügt über etwas mehr als 4200 Maschinen, von denen 2730 sowjetische Flugzeuge sind. Ungarns zehn wichtigste Militärflugplätze be-

herbergen etwa 750 bis 800 erstrangige Sowjetflugzeuge. Auch auf den tschechoslowakischen Militärflughäfen dürfte die Zahl der Sowjetmaschinen 700 bis 750 erreichen. Auf NATO-Flugbasen liegen derzeit nicht mehr als 350 amerikanische Maschinen und 1714 Flugzeuge der Verbündeten.

Die Russen haben ihren Verbündeten bisher mindestens 3500 taktische Nuklearwaffen geliefert. Die NATO-Überlegeniheit auf diesem Sektor ist jedoch evident. Dem NATO-Ober-kommando stehen nämlich ungefähr 7000 taktische Nuklearwaffen, allerdings unter strenger amerikanischer Kontrolle, zur Verfügung.

Da Ungarn eine sehr wichtige strategische Position Moskaus gegenüber Jugoslawien darstellt, will die russische Armeeführung die Kädär-sche Volksdemokratie als Aufmarschbasis und vorgeschobenen Stützpunkt nicht aufgeben. Moskau würde einer vollwertigen Teilnahme Ungarns an der MBFR-Konferenz zustimmen, wenn auch Italien eingeladen würde, womit dann auch der

Mittelmeerraum einbezogen wäre.

Das einheitliche Auftreten und die Vorgangsweise des sowjeteuropäischen Lagers in Wien kommt nicht von ungefähr. Tagesordnung und Taktik wurden bereits im März 1969 lange vor der Eröffnung vorbereitender Gespräche in Helsinki, in Budapest fixiert. Damals wurde beschlossen, die blockinternen „Relationen der sozialistischen Länder als Diskussionsthema auf der Europäischen

Sicherheitskonferenz“ nicht zuzulassen. Das Sowjetlager hat hingegen wiederholt eine „Absage an die Gewalt“ verkündet. Die Sowjetsuprematie in Osteuropa soll unangetastet bleiben. Wenn aber der Kreml ohnedies in seinem bisherigen Machtbereich auch in Zukunft ungehindert schalten und walten kann, wie er will — wozu dann noch über Kooperation und europäische Sicherheit Beschlüsse fassen?

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