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Die Worte wägen

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Der langjährige, vor kurzem aus seinem Amt geschiedene — oder wie er selbst zu sagen pflegt: zum zweiten Mal hinausgeworfene — ORF-Generalintendant Gerd Bacher hat in jüngerer Zeit bei verschiedenen Gelegenheiten heftige Kritik an der journalistischen Kultur unseres Landes geübt.

Bacher meinte bei der Eröffnung der diesjährigen „Salzburger Humanismusgespräche“ unter anderem, es sei zu einer exklusiven Komplizenschaft von Politikern und Journalisten gekommen. Diese Komplizenschaft unterdrücke andere wichtige Elemente der öffentlichen Diskussion und befinde sich auf der Flucht ins Nebensächliche, Oberflächliche und (Selbst-)Gefällige. Die journalistische Kultur bewege sich “in mißbräuchlicher Auslegung der „Vierten Gewalt“ auf eine Mediendemokratie zu. der die checks and balances, also die Korrektive, fehlten.

„Eine vierte Gewalt, die im Namen der Meinungsfreiheit Staatsgeheimnisse verrät, Gerichtsprotokolle veröffentlicht (ohne daß bereits Urteile gefallen sind, Anm. des Autors), sich über Krei-skys Autotelefonrechnungen ereifert und den Erzbischof bei der Beichte mit verstecktem Tonband belauscht, solcher Journalismus trägt totalitäre Züge, er kann ein großer Bruder sein.“

Diese nicht unwidersprochene Auffassung Bachers teilt Kurt Wessely, selbst Journalismus-Kritiker, im Prinzip, nicht jedoch im Detail. Wessely warnt vor Verallgemeinerungen solcher Art, meinte aber in seiner Ansprache anläßlich des von mir bereits erwähnten Festaktes „40 Jahre SVZ“ im Herbst vorigen Jahres nicht minder kritisch, Politiker wie Journalisten hätten allen Grund, „bestürzt und bedrückt zu sein von der Tatsache, daß das geschriebene Wort nicht mehr ausschließlich der Information und Kommunikation, also der Verständigung, dient, sondern immer mehr als Instrument der Prügelstrafe mißbraucht wird.

Es gibt viele Persönlichkeiten in Politik und Wirtschaft, die ihre Worte wägen, und auch nicht alle Journalisten tragen sich so salopp, daß sie nicht wüßten, wo die Gürtellinie läuft. Dennoch macht der rüde Ton in unserem öffentlichen Leben Schule. Kritik wird offenbar nur noch als solche begriffen, wenn sie aggressiv und gehässig ist.“

In einer Situation, in der das Gruppenbild Politiker und Journalisten arg verwackelt ist, haben Journalisten, die ihre Arbeit im Nahbereich von Parteien verrichten (und ich persönlich meine, nicht nur diese, sondern alle anderen auch, Anm. d. Verf.), den verantwortungsvollen Auftrag, sich als Vermittler im weitesten Sinne des Wortes zu verstehen.

Man kann sich Bacher wie Wessely s Worten sowie anderer Journalismuskritik nicht verschließen. Hinzu kommt, so meine ich persönlich, daß unser Medienbeziehungsweise Journalismus-Bild verzerrt und verstellt ist von den nicht selten dümmlich-schreienden Schlagzeilen der Straßenverkaufspresse, den teils fragwürdigen Methoden des wichtigen, aber oft mißbräuchlich angewendeten und sich nicht selten mißverstehenden Enthüllungsjournalismus sowie den teils sträflich unüberlegten, teils bewußt provozierend-saloppen, in der Mehrzahl jedoch vordergründigen Formulierungen und Sprachdiktionen des Magazin-Journalismus.

In vielen anderen, weniger schreienden Medien arbeiten zahlreiche seriöse Medienschaffende unablässig nach der Wahrheit suchend und mit einem ungewöhnlich kreativen Potential ausgestattet. Teile des Journalismus - und ich gebe zu: auf den ersten Blick sehr dominierende Teile - scheinen sich also in einer Krise zu befinden, die mir persönlich allerdings nicht unüberwind-bar erscheint.

Rene Marcic, idealistischer Verfechter des Gedankens von den Medien als „vierter Gewalt“ — weil die drei anderen, Legislative, Exekutive und Judikative, personell oft nicht mehr getrennt sind und daher auch nicht funktionieren können —, hat anläßlich des 25-Jahr-Jubiläums der „SN“ am 24. Oktober 1970 den „Auftrag des

Journalisten“ wie folgt formuliert, und ich beginne bei der von mir vorgenommenen Zusammenfassung der Überlegungen Marek in der Reihung der Punkte absichtlich von hinten: 3. Dem Recht (durch Parteilichkeit) Gehör verschaffen: für die Schwachen, gegen die Starken; für das Recht, gegen das Unrecht; für den Frieden, gegen den Krieg. 2. Der Macht begegnen, ohne jedoch die eigene — journalistische — Macht zu mißbrauchen. 1. Das Augenmaß bewahren, sich also der Verantwortung bewußt sein.

Im Hinblick auf die Verantwortung des Journalisten unterscheiden wir in der Publizistikwissenschaft in Anlehnung an die von Max Weber getroffene, damals auf Politiker bezogene Differenzierung zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Wer als Journalist gesinnungsethisch handelt, handelt wertrational — nimmt also im Streben nach Wahrheit auf die Folgen seines Handelns (absichtlich oder unabsichtlich) nicht Bedacht.

Wer verantwortungsethisch handelt, agiert zweckrational, hat also mögliche, vermutliche, absehbare oder beabsichtigte Folgen seines Tuns im Auge. Nun ist klar, daß sich alle Journalisten ständig im Spannungsfeld zwischen wert- und zweckrationalem Handeln befinden.

Ich meine mit meinem Urteil aber absolut nicht falsch zu liegen, wenn ich sage, daß Kurt Wessely aus seiner (politischen) Gesinnung nie ein Hehl gemacht hat, sich aber immer seiner Verantwortung als politischer Journalist bewußt war — und das beispielhaft und beispielgebend für künftige Journalistengenerationen.

Der Autor ist Kommunikationswissenschaftler und war langjähriger Leiter des „Kuratoriums für Journalistenausbildung“. Der Beitrag zitiert auszugsweise aus der Festrede des Autors für Kurt Wessely anläßlich der Verleihung des Rene-Marcic-Preises 1986 in Salzburg.

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