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Die Würde in der Wüste

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Nasser war bis zu seinem Tod, trotz aller Schattenseiten und aller Niederlagen, das kritiklos verklärte Idol einer ganzen Generation arabischer Jugendlicher. Als er am 9. Juni 1967, angesichts der vernichtenden Niederlage der Araber in ihrem dritten Krieg gegen Israel, zurücktreten wollte, vergossen Jugendliche in allen Ländern zwischen Atlantik und Indischen Ozean, in denen Arabisch gesprochen wird, Tränen echter Verzweiflung. Zu seinem Begräbnis kamen schätzungsweise acht Millionen Menschen.

Sein Tod beraubte die arabische Jugend auf dem schwierigen Weg vom Mittelalter in die Neuzeit ihrer allwissend scheinenden Vaterflgur. Seit dem Ende des „Ramadan-Krieges“ haben die vaterlosen Jungen wieder ein Idol. Niemand schien dafür weniger geeignet zu sein als gerade der, der es wurde: der greise und todkranke saudische Beduinenkönig Feisal Ibn Abdel Asis Ibn Saud Ibn el-Wahhabi. Nichts wäre falscher, als zu behaupten, der alte Monarch verdanke seine junge Popularität lediglich dem Griff nach der „ölwaffe“. Feisal stammt durchaus nicht, wie König Hussein von Jordanien, aus einer der alten arabischen Herrscherfamilien. Hussein führt seine Abstammung zurück bis auf die Familie des Propheten Mohammed, ja die Familie der Ha-schemiten ist älter als der islamische Religionsschöpfer. Feisal kommt aus einem bis in die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts hinein ziemlich unbedeutenden Stammesclan.

Feisals „Adel“ entstammt zudem, was für das Verständnis der arabischen Entwicklung von größter Bedeutung ist, seiner Funktion als Hüter der heiligen Stätten von Mekka und Medina. Die arabischen Revolutionäre sind in ihrer überwiegenden Mehrheit durchaus nicht atheistisch gesinnt, sondern bejahen die religiösen Traditionen des Islams. Wer sie bewahrt, dem versagen sie nicht ihren Respekt. Der alternde Feisal ist außerdem ein politisches Naturtalent.

Jahrelang bewahrte er seine Heimat nach dem Tod des Vaters als Premierminister vor den allerärgsten Folgen der Verschwendungssucht seines auf dem Thron sitzenden älteren Bruders Saud. Der Vater hatte dem Jüngeren auf dem Totenbett das Versprechen abgenommen, den Bruder niemals zu stürzen. Nicht Feisal brach dann dieses Versprechen, sondern der „Rat der Mekkaner Weisen“.

Seit Feisal auf dem Thron von erRiad sitzt, gelang Saudi-Arabien der Sprung vom Mittelalter in die Neuzeit. Gewiß, noch immer amputiert man Dieben die Hand, und es dünkt Europäern weniger Fortschritt als grausame Ironie, daß dies heute nicht mehr durch den Henker geschieht, sondern durch einen Chirurgen. Aber es gibt Mädchenschulen,weibliche Studenten und eine moderne Armee.

Was hat den weniger von Geburt als der Uberzeugung nach konservativen Monarchen zum Idol der arabischen Jugend gemacht? War es die Verärgerung über das einseitige amerikanische Engagement zugunsten Israels? War es ein aus dem Koran zu motivierender Haß auf die Juden? An allem mag etwas Wahres sein. Doch wer sich mit einem dieser Beweggründe allein zufrieden gibt, kennt Feisal nicht.

Gewiß will der König den noch nicht drei Menschenalter existierenden Thron und die Einheit seines riesigen Wüstenreiches für seine Familie erhalten. Gewiß gefällt es ihm nicht, daß die USA in seinen Augen mit seinem öl die Existenz Israels inmitten der arabischen Welt garantieren. Doch Feisal hat für seine partielle Kriegserklärung an den Westen zwei logischere und wichtigere Beweggründe: der gelernte politische Pokerspieler weiß, daß die Europäer und Amerikaner die Araber nur dann als Bestandteil ihrer Welt anerkennen werden, wenn man sie dazu zwingt. Und er weiß, daß die Araber sich mit Israel nur abfinden können, wenn man dabei nicht länger ihren Sinn für menschliche Würde mit Füßen tritt. Um beides zu erreichen, griff er zur ölwaffe.

An den Lagerfeuern der Beduinen wie in den Studierstuben der fortschrittlichen Studenten der arabischen Welt redet man sich seitdem über ihn die Köpfe heiß. Der magenkranke Monarch mit dem schleppenden Gang und den müden Augen entführte einst eine schöne Türkin als Braut für seinen Vater. Doch dann heiratete er sie selbst, ohne den Unwillen dieses Vaters zu erregen, und sie ist noch heute seine Frau. Man sollte also die diplomatischen Fähigkeiten dieses Mannes ebensowenig unterschätzen wie sein politisches Gewicht und seinen Sinn für Macht und Würde.

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