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Die Wunder des „Deutschen Rom“

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Der Salzburger Dom, Österreichs älteste Kathedrale und einst bedeutendstes Kristallisationszentrum abendländischen Geistes, feiert im kommenden September sein 1200jähriges Bestehen: 774 hatte der irisch-schottische Abt Virgil Salzburgs ersten Dom geweiht, der 1167 bei einem Angriff Kaiser Friedrichs I. Barbarossa in Schutt und Asche fiel. Den 1180 wiederaufgebauten Dom, die größte romanische Kathedrale des deutschen Raumes, ließ Fürsterzbischof Wolf Dietrich von Raitenau 1598 nach einem Brand abreißen; 1628 entstand der barocke Prunkbau Santino Solaris.

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Der Salzburger Dom, Österreichs älteste Kathedrale und einst bedeutendstes Kristallisationszentrum abendländischen Geistes, feiert im kommenden September sein 1200jähriges Bestehen: 774 hatte der irisch-schottische Abt Virgil Salzburgs ersten Dom geweiht, der 1167 bei einem Angriff Kaiser Friedrichs I. Barbarossa in Schutt und Asche fiel. Den 1180 wiederaufgebauten Dom, die größte romanische Kathedrale des deutschen Raumes, ließ Fürsterzbischof Wolf Dietrich von Raitenau 1598 nach einem Brand abreißen; 1628 entstand der barocke Prunkbau Santino Solaris.

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Zur 1200-Jahr-Feier wurden nun in den Oratorien des Doms ein Museum und in Darios berühmten Kolonnaden die alte Kunst- und Wunderkammer eröffnet. Obwohl Salzburgs Domschatz durch Katastrophen wie die von 1167 immer wieder schwer dezimiert und schließlich die Kunst-kammer zu Ende des 18. Jahrhunderts sogar zur Gänze in die Wiener kaiserlichen Sammlungen abtransportiert worden waren, ist auch heute die Sammlung noch unverkennbar von einer Persönlichkeit geprägt: Wolf Dietrich, der, ehrgeizig genug, das mittelalterliche Salzburg zum „Deutschen Rom“ ausbauen zu wollen, hier von führenden Künstlern seiner Zeit unter anderem einen silbernen Kirchenschatz, den bedeutendsten der deutschen Renaissance, hat schaffen lassen. Und dieser wetteitert heute im Dommuseum mit den bizarren mittelalterlichen Kostbarkeiten (Limoger Hostientaube, Rupertkreuz, Staurothek usw.), mit den edelsteinübersäten Monstranzen, Kelchen, Insignien, etwa des Grafen Guidolbald Thun, und mit den bedeutenden gotischen Plastiken aus salzburgischen Landkirchen.

Allein die Gold- und Silberschätze sind von unbeschreiblicher Schönheit: Zum Beispiel die einen Meter hohe sogenannte „Pretiosenmon-straniz“, datiert 1697, in Salzburg, ein Werk des Hofgoldschmieds Ferdinand Sigmund Amende, ein Wunderwerk edelster Arbeit mit 74 zum Teil niußgroßen Smaragden, 16 Saphiren, Dutzenden von Rubinen, Hunderten von Diamanten... die 1680 geschaffene Monstranz Kardinal-Erzbischof Graf Kuenburgs und sein Augsburger Goldschimiedekelch von 1679, ein manieristisches Kunstwerk.

Aber neben diesen sensationellen Kostbarkeiten finden sich auch Objekte, die die Wissenschaftler noch einige Zeit beschäftigen werden: Etwa die berühmte „Staurothek“, das verloren geglaubte doppelarmige Reliquien- und Schwurkreuz des ungarischen Kronschatzes, das vermutlich 1476, bei der Belagerung der Stadt Gran durch Matthias Corvinus, vom flüchtenden Erzbischof Johann III. als Geschenk nach Salzburg kam; oder die neuentdeckte gotische Skulptur „Joachim und Anna an der Goldenen Pforte“, eine besonders ausdrucksstarke, bisher unibekannte Arbeit, aus den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts — man kann sie wohl dem bedeutenden Maler IP zuschreiben! —, oder auch die salzburgische Pietä aus Maria Alm, ein für die Entwicklungsgeschichte der salzburgischen Plastik des Mittelalters wichtiges Werk: die hölzerne, gefaßte Christusfigur entstammt dem 14. Jahrhundert, Teile der Mari enfigur sind barock ergänzt...

Hauptattraktion ist freilich die „Kunst- und Wunderkammer“ des Erzbischofs Guidobald Thun (1654 bis 1668), eine Raritätenkammer, deren Vorbild die weltberühmte Prager Kunstkammer Rudolph II. war. Thun, dessen Vater unter Rudolph in Prag Statthalter war, hatte schon von Kindheit an übergroßes Interesse für Pretiosen und Kuriosa; dieses Interesse steigerte sich während seiner Salzburger Regierungszeit zur Leidenschaft: So ließ er in Salzburg eine Beigkristallschleiferei gründen, wie sie an den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts durch den Kaiser in Prag eröffnet worden war, und begann sich sehr bald mit der Anlage einer Wunderkammer zu befassen.

Seine gesellschaftliche Führungsposition als Pronotar und Stellvertreter des Kaisers auf dem Reichstag zu Regensiburg mag dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben. 1657 begann er mit dem Ausbau der „Langen Galerie“ auf der Seite des Salzburger Petersklosters, für die als Verbindungsbau Darios Dombögen errichtet werden mußten. Die „Lange Galerie“ wurde nun das Zentrum der Fürsterzbischöf liehen Sammlungen: Zu den schon von Thuns Vorgängern gekauften 150 Gemälden — Werken von Dürer, Holbein, Cranach, Palma, Bassano, Schönfeld u. a. — wurden nun Objekte zeitgemäßen Repräsen-tationsgeschmacks gekauft.

„Weltanschaulich war dabei der Wille maßgebend, die über die menschliche Vorstellungswelt triumphierende, unermeßliche Phantasie des Weltschöpfers offenbar zu machen. Noch sah man diese Fülle einer Hand entströmen und bewunderte sie als Schöpfung weniger Tage. Dementsprechend entstanden in diesen Jahrhunderten besonders viele Darstellungen des Paradieses. Adam und Eva sind da als Endprodukte des Schöpfungsaktes stets von einer tropischen Fülle der seltensten Tiere umgeben, von denen man nun nähere Kenntnis hatte“, schreibt Nora Watteck, die an der Nauaufstellung dieser Wunderkammer gemeinsam mit Monsignore Johannes Neuhardt entscheidenden Anteil hat: „Diese Zeitspanne ist aber auch der Nährboden für die zahlreichen ,Vanitas'-Bilder. Sie sollten auf die Vergänglichkeit alles Lebens hinweisen, was durch den Totenkopf, die Sanduhr, das halb gelerte Trankglas, den in die Kassette nacht mehr eingeordneten Schmuck sinnfällig zum Ausdruck gebracht wurde. Und fast auf keinem dieser Eitelkeitsbilder, die Prunk und Vergänglichkeit bewußt belehrend in ihren Gemälden veranschaulichen, fehlt die Muschel.“

Muscheln sind denn auch in der wieder aufgestellten Wunderkammer entscheidendes Symbol für die Zerbrechlichkeit des Lebens, für sie erlegten die Enzbischöfe Thun und nach ihm Max Gandolph Graf von Kuenburg, der Vollender der Wunderkammer, geradezu Unsummen, wie noch erhaltene Inventare angeben. Unter Kuenburgs Regierung wurden jedenfalls — vermutlich von Dario — auch die kostbaren schwar-■zen Wandschränke angefertigt, von denen neun — von ehemals zwölf — erhalten geblieben sind, auch wenn ihr Inhalt in alle Welt zerstreut und verschiedenen Sammlungen eingegliedert worden ist.

1687 wird jedenfalls diese Sammlung erstmals als Kunst- und Wunderkammer angeführt. 1717 liegt das erste erhaltene Inventar vor: Mineralien, vor allem Smaragde aus dem Habachtal und riesige Bergkristalle, Epidote, versteinerte Meerestiere, Muscheln, dazu konservierte Haie, Rochen, Krokodile, die berühmten Salzburger Steinibockgehöme u. a. wurden zu ornamentalen Kompositionen arrangiert. Reliquien, magische Schätze (ägyptische Figürchen), astronomische Geräte und allerlei wundersame Kunstgewerbeartikel vervollständigten die Sammlung.

Nun wurde diese Sammlung wieder im Geschmack des 17. Jahrhunderts zusammen- und aufgestellt: Zwar sind die 130 legendären Gold-und Bergkristallschalen, die Onyx-, Achat- und Smaragdgefäße Wolf Dietrichs verloren oder in anderen großen Museen (zum Beispiel im Wiener Kunsthistorischen) aufgegangen, aber aus dem Kunsthandel und aus Privatleihgaben stellten die unermüdlichen Retter dieser Wuntier-kamffier, TKTatteck Uttd Dr. Neuhardt, eine Schau zusammen, die an Originalität der des 17. Jahrhunderts kaum nachsteht: Auch hier edle Gesteine als Symbole der Macht, des Reichtums, der Landesschätze, skurrile Tier- und Pflanzenrelikte, Muscheln, diese Sinnbilder der Vergänglichkeit, wundertätige Reliquienreste und wissenschaftliches Instrumentarium ... Eine Repräsentationssammlung der Fürsten aus Sinnbildern des Glaubens, der Herrschergewalt, des Glanzes; imponierend, auch wenn jetzt manches nicht so ganz im Sinne der ursprünglichen Idee sein mag: etwa die Rosenkränze und Ma-rienkronen aus dem Besitz des Stiftes von St. Peter, die die aus Salzburg, wegggeschafften Juwelen und Reliquien ersetzen müssen.

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