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Die Wurzeln der Wirtschaft

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Es ist interessant, mit einem Zeitabstand von fast einem Vierteljahrhundert heule die A ussagen eines der geistigen Väter der sozialen Marktwirtschaft zu lesen. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, daß sie in einer Zeit gemacht wurden, in denen die Möglichkeiten der Wirtschaft grenzenlos schienen.

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Es ist interessant, mit einem Zeitabstand von fast einem Vierteljahrhundert heule die A ussagen eines der geistigen Väter der sozialen Marktwirtschaft zu lesen. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, daß sie in einer Zeit gemacht wurden, in denen die Möglichkeiten der Wirtschaft grenzenlos schienen.

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Der neue Menschentypus ist der „fragmentarische, desintegrierte“ Mensch, das schließliche Endprodukt fortschreitender Technisierung, Spezialisierung und Funktionalisierung, die die Einheit der Persönlichkeit zersetzt und im modernen Massendasein auflöst, die Kümmerform von Homo sapiens, die der vor allem durch die Technik bestimmte Zivilisationsprozeß geschaffen hat, die geistig-moralische Zwergwuchsrasse, die sich willig, ja freudig, weil erlöst, zum Rohstoff des modernen kollektivistisch-totalitären Massenstaates gebrauchen läßt.

Es wäre aber auch zugleich der geistig heimatlos und moralisch schiffbrüchig gewordene Mensch, dessen Fähigkeit zur echt religiösen Glaubenshingabe und zur Pflege der überlieferten Kulturwerte durch die fortschreitende Intellektualisierung und Bewußtseinserhellung aufgelöst wird, während er sich einen Ersatz sucht in den mit fanatischer Intoleranz verfochtenen politisch-sozialen Ideologien unserer Zeit (den „Sozialreligionen“, wie sie Alfred Weber treffend genannt hat), mit Sozialismus, Kommunismus und Nationalismus an der Spitze.

Diese dunklen Perspektiven sind ganz gewiß nicht leichtfertig abzutun. Aber die Frage ist doch berechtigt, ob ein solcher Pessimismus nicht bereits so extrem ist, daß er selber zum Teil der Kulturkrise wird und daher überwunden werden muß, wenn wir über diese hinausgelangen wollen.

So wichtig - ich habe selber bereits darauf nachdrücklich hingewiesen - die äußeren Daseinsbedingungen, wie sie durch Technik, Organisation und soziale Institutionen geformt werden, für den Menschen auch sind, so fällt doch die letzte Entscheidung in den tiefsten Schichten des Geistig-Moralischen.

Daß aber dieses Geistig-Moralische selber und mit ihr der Mensch als Persönlichkeit völlig von den äußeren Formen determiniert sei, ist eine Annahme, mit der schon eines der wichtigsten Stücke der Kulturkrise selber zugestanden wird, nämlich die Auflösung des Menschenbildes, zu dem uns unsere Kulturüberlieferung verpflichtet, in einer historischen Relativierung, die an die Stelle dieses christlich-humanistischen Menschenbildes Entwicklungsstadien, Menschentypen und Kulturzyklen setzt.

Es ist gerade das wesentliche Symptom unserer Kulturkrise, daß der innere Halt an der christlich-humanistischen Überzeugung von der einen Zivilisation und vom einen Menschen uns aus der Hand gleitet, und diese Krise überwinden heißt vor allem: diesen Halt wiedergewinnen.

Wir können erst dann aufatmen, wenn der Mensch zu sich selber zurückgefunden und das feste U fer seiner eigenen Natur, unverbrüchlicher Wertüberzeugungen und bindender Glaubensinhalte wiedergewonnen hat, natürlich - darüber soll kein Zweifel bleiben - im Verein mit der Meisterung der gewaltigen Probleme, die uns die beispiellose Umwälzung der äußeren Existenzformen beschert hat....

Daß unsere Zeit Aristokraten des Gemeinsinns - an denen das Feudalzeitalter nicht arm gewesen ist, in genü- gender Zahl hervorbringt, daß es einige Unternehmer, Landwirte und Bankiers gibt’, die imstande sind, die großen Fragen der Wirtschaftspolitik unbefangen durch ihre unmittelbaren und kurzfristigen Geschäftsinteressen zu sehen, oder Gewerkschaftsführer, die sich bewußt sind, heute mit dem Präsidenten der Zentralbank die Verantwortung für die Währung zu teilen, oder Journalisten, die, ohne dem Massengeschmack zu schmeicheln oder den Leidenschaften der Politik und den Verlockungen billigen Erfolgs zu erliegen, die öffentliche Meinung mit Maß, Urteilskraft und höchstem Verantwortungssinn führen - davon wird schließlich der Fortbestand unserer freien Welt abhängen.

Daß unter ihnen aber vor allem sich solche befinden, die durch ihre Stellung und ihre Überzeugung mit der Marktwirtschaft aufs engste verknüpft sind und sich für sie in den hier behandelten moralischen Bereichen verantwortlich fühlen, dürfte auch für das schließliche Schicksal der Marktwirtschaft entscheidend werden ...

Der ethische Gehalt des wirtschaftlichen Alltags ist darin zu suchen, daß wir hier auf das eigentliche Grundwasser stoßen, in das die Wurzeln unserer eigenen Existenz hinabreichen und von wo sie ihren Lebenssaft empfangen.

Navigare necesse est, vivere non est necesse, wie wir auf einem alten Seemannshaus der Stadt Bremen lesen können, und der allgemeine Sinn dieses Satzes ist klar: Es ist kein rechtes Leben, wenn man seinen Beruf nur um des materiellen Erfolges willen ausübt und in ihm nicht eine innere Notwendigkeit und einen über den bloßen Gelderwerb hinausreichenden Sinn erkennt, die ihm innere Würde und seelisches Gewicht verleihen.

Was auch immer wir tun und welches auch die Arbeit sei, die wir verrichten: wir müssen wissen, an welchem Platze wir in dem großen Bau der Gesellschaft stehen und welchen Sinn unser Tun über das unmittelbare Ziel der Förderung der materiellen Existenz hinaus hat.

Wir müssen uns darüber Rechenschaft geben, welches die sozialen Funktionen sind, für die uns die Gesellschaft in Gestalt unseres Einkommens bezahlt.

Im Grunde ist es ein kleines, ja elendes Dasein, das nicht zu wissen und die Stunden, die wir der Arbeit widmen, als ein bloßes Mittel des Gelderwerbs, als einen reinen Passivposten in der Lebensbilanz zu betrachten, der nur dadurch ausgeglichen wird, daß ihm die Aktivposten der Genüsse gegenüberstehen, die uns der Geldertrag unserer Arbeit ermöglicht.

Dieses Empfinden für Sinn und Würde des Berufs und für den gesellschaftlichen Platz der Arbeit, welches auch immer sie sei, ist heute erschrek- kend vielen Menschen abhanden gekommen. Es zu erwecken gehört zu den dringendsten Aufgaben unserer Zeit, aber es ist eine Aufgabe, deren Lösung das analytische Denken des Ökonomen wie das Feingefühl des Philosophen in glücklicher Kombination voraussetzt ...

Auszug aus: JENSEITS VON ANGEBOT UND NACHFRAGE. Von Wilhelm Röpke. Verlag Paul Haupt. Bern und Stuttgart 1958.

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