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DIE ZEICHEN DER ZEIT RICHTIG DEUTEN

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Die Kirche hat als die von Christus, dem menschgewordenen Gottessohn, gestiftete Gemeinschaft die Aufgabe, die ihr anvertraute Lehre und die durch die Erlösung erwirkten Heilsmittel den Menschen bis ans Ende der Zeit unter dem Beistand des Heiligen Geistes treu zu vermitteln. An dieser Sendung der Kirche nehmen entsprechend der spezifischen Berufung, der konkreten Stellung in Kirche und Welt und entsprechend derpersönlichen Fähigkeiten und Charismen alle Gläubigen teil.

Der Papst und die Gemeinschaft der Bischöfe mit ihm und unter seiner Leitung haben für die ganze Kirche, die einzelnen Bischöfe für die ihnen anvertraute Diözese die besondere Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, daß der empfangene Glaube in der jeweiligen Zeit unverfälscht und unverkürzt verkündet wird.

Das ist das Lehramt der Kirche. Es steht nicht über dem Wort Gottes, sondern ist ihm verpflichtet. In diesem Sinn lehrt das Zweite Vatika-num: „Das Lehramt ist nicht über dem Wort Gottes, sondern dient ihm, indem es nichts lehrt, als was überliefert ist, weil es das Wort Gottes aus göttlichem Auftrag und mit dem Beistand des Heiligen Geistes voll Ehrfurcht hört, heilig bewahrt und treu auslegt und weil alles, was es als von Gott geoffenbart zu glauben vorlegt, aus diesem einen Schatz des Glaubens schöpft" (Dei Verbum 10). Das Lehramt der Kirche hat die nicht delegierbare Aufgabe, „das geschriebene oder überlieferte Wort Gottes verbindlich zu erklären" (ebenda).

Es soll zeitgemäß sein, das heißt den Glauben in einer Weise erklären,

daß es verständlich ist, auf die jeweils aktuellen Fragen einer Zeit beziehungsweise den örtlichen Gegebenheiten entsprechend eingehen und Irrtümer aufzeigen.

Es ist nicht zu übersehen, daß dafür - wie die Geschichte der Kirche zeigt - oft ein intensives, manchmal langjähriges Ringen um Klarheit nötig ist. Die Heiligen, das heißt von Gott erwählte und mit ihm besonders verbundene Menschen, spielen dabei oft eine große Rolle, die Erwägungen und Forschungen der Gelehrten leisten ihren Beitrag, aber auch Erfahrungen und Nöte können den Vorgang der Klärung beschleunigen oder behindern.

Gefahr falscher Anpassung

In gewissem Sinn hinkt das Lehramt fast notwendigerweise manchen Entwicklungen nach, weil es keine überstürzten Antworten gibt und erst nach gründlicher Reflexion korrigierend eingreift. Die Enzyklika Huma-nae Vitae, die Stellungnahmen zur Befreiungstheologie oder zu liturgischen Fragen (das Dokument 25 Jahre nach der Konstitution Sacrosanc-tum Concilium) sind Beispiele dafür. Oft hat das kirchliche Lehramt aber auch prophetischen Charakter. Es eröffnet neue Horizonte und ist zukunftweisend: Humanae Vitae ist auch diesbezüglich zu erwähnen. Ein anderes Beispiel ist das apostolische Rundschreiben Christifideles laici über das Laienapostolat.

Wenn jetzt der Weltkatechismus herausgegeben wird, so entspricht dies einem Bedürfnis nach einer gesicherten Grundlage für die Arbeit nach einer Zeit der Suche nach neuen

Ansätzen in der Verkündigung, nach teilweise negativen Erfahrungen von zu wenig im Contextus fidei verwurzelten Experimenten in Liturgie und Seelsorge und einer für Herde und Hirten schädlichen Verunsicherung. Es ist die Frucht einer Reflexion der Kirche auf ihre Wurzeln, ohne deren Kenntnis auch das Verständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils und dessen Verwirklichung nicht möglich ist.

Die Veröffentlichung des Weltkatechismus, in dem für die Universalkirche die wesentlichen Aussagen der Glaubens- und Sittenlehre durch das Lehramt dargelegt werden, macht die Aufgabe des Diözesanbischofs und seiner Mitarbeiter, für eine zeitgemäße Verkündigung Vorsorge zu treffen, nicht überflüssig.

Die Darlegung der Glaubens- und der Sittenlehre muß immer auf die konkreten Orts verhältnisse Rücksicht nehmen und die Inhalte in geeigneter Weise „übersetzen", damit sie tatsächlich verstanden werden und die Menschen auf den Wegen des Heiles voranführen.

Gerade bei diesem „Übersetzen" besteht allerdings die Gefahr einer falschen Anpassung oder aber der Nicht-Beachtung besonderer Allergien, Schwierigkeiten und Probleme, die in einer bestimmten Region vorhanden sein können. In beiden Fällen - bei falscher Anpassung oder bei einer Verkündigung über die Köpfe hinweg - wird jene Wahrheit nicht vermittelt, die einzig und allein zu befreien vermag. Es muß daher mit der Hilfe des Heiligen Geistes ständig darauf geachtet werden, daß keine Substanz verloren geht und kein Irr-

tum sich einschleicht.

Die Kirche muß unaufhörlich wachsam sein, um die Zeichen der Zeit richtig zu deuten. Der Ausdruck „Zeitgeist" ist ein schillernder Begriff. Es gibt Bewußtseinsvorgänge in breiten Schichten der Bevölkerung, die Frucht des Heiligen Geistes sind, also in keiner Weise im Kontrast zum Heiligen Geist stehen.

Unterscheidung der Geister

Wenn sich zum Beispiel eine jedesmal größere Sensibilität gegen Zerstörungen der Natur bemerkbar macht oder eine wachsende Skepsis gegen eine fast ausschließlich materialistisch orientierte Berufseinstellung sich ausbreitet oder die Sorge bei vielen Menschen vorhanden ist, ob sie imstande sind, den Weg zu einer dauerhaften freundschaftlichen Beziehung zu finden, so können dies wichtige Hinweise für die Verkündigung sein. Das Lehramt wird bestimmte Trends aufgreifen und fördern, ohne einem falschen Populismus zu frönen.

Anderen Entwicklungen, die der Wahrheit nicht entsprechen und dem Heil des Menschen nicht förderlich sind, wird es dagegen mit aller Entschlossenheit entgegentreten müssen, auch wenn vieleoder-vielleicht sogar die Mehrheit - andere Meinungen vertreten.

Und was kann zur Unterscheidung der Geister helfen? Einerseits werden alle Entwicklungen im Lichte der Offenbarung zu prüfen sein, andererseits ist einer der sichersten Wege, den Christus selbst gezeigt hat: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen!"

Der Autor ist Diözesanbischof von Feldkirch.

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