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Die Zeitung als Ratgeber und Helfer in Lebensfragen

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Der,.kleine Sparer“ istauf-ewacht. Immer mehr sterreicher entwickeln ein „Wertpapierbewußtsein“. Wie reagieren die Zeitungen auf diese Verhaltensänderung?

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Der,.kleine Sparer“ istauf-ewacht. Immer mehr sterreicher entwickeln ein „Wertpapierbewußtsein“. Wie reagieren die Zeitungen auf diese Verhaltensänderung?

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Ein Anruf in der Redaktion des Wirtschaftsmagazins „Gewinn“, unter Weglassung der genannten Namen detailgetreu wiedergegeben:

„Guten Tag, bitte ich hätte gerne nähere Informationen über die deutsche Aktie ...“

„Ja, das ist möglich, aber können Sie uns sagen, worum es Ihnen dabei geht?“

„Folgendes: Ich hab' in diese Aktie auf Grund Ihrer Empfehlung 150.000 Schilling investiert, und jetzt möchte ich die künftige Kursentwicklung besser beurteilen können, dazu hätte ich gerne Unterlagen.“

„Wir schicken Ihnen Kopien von diversen Analysen, die wir besitzen. Wie ist Ihre Adresse?“

„Senden Sie das bitte in die Ortschaft ..., Straße und Hausnummer ist nicht notwendig, schreiben Sie bitte Pfarrhof drauf.“

„Pfarrhof?“

„Ja, ich bin hier der Pfarrer.“

Welche Schlüsse sind aus diesem Anruf zu ziehen? Mit Sicherheit nicht die, daß nun auch bereits Landpfarrer unter die Börsenspekulanten gegangen sind. Richtigerweise, so meine ich, ist dieser Anruf so zu interpretieren: Tausende Österreicher haben in den letzten Jahren zur Verblüffung der professionellen Meinungsforscher und auch zur Überraschung der heimischen Finanzmanager ein bisher unbekanntes Wertpapierbewußtsein entwickelt — und auch Landpfarrer sind Österreicher.

Der sogenannte „kleine Sparer“, der jahrzehntelang sein Geld brav auf das Sparbuch gelegt hat, ist plötzlich aufgewacht. Er beginnt, seine Ersparnisse strategisch anzulegen und ist bereit, bei einem Teil seines Geldes gegen die Chance höherer Erträge auf eine fixe Verzinsung zu verzichten.

Soweit, so Lesern der Wirtschaftsseiten bekannt. Woher aber kommt nun dieses plötzliche Erwachen, und wie reagieren nun die Zeitungen auf diese doch sehr gravierende Verhaltensänderung?

Als Herausgeber eines Wirtschaftsmagazins, das seit seiner Gründung vor vier Jahren eine kontinuierliche Berichterstattung über Aktien betreibt und dabei auch sehr konkrete Anlagetips gibt, konnte ich folgendes Phänomen hautnah miterleben: Nachdem schon lange in mittelgroßen Städten Österreichs Investmentclubs aus dem Boden geschossen waren, wo Kleinanleger in Eigeninitiative einander über ihre Anlageerfahrungen berichteten und Informationen austauschten, erzählten Leser noch immer von einer verblüffenden Unkenntnis von Bank-Schalterbeamten, wenn man sie mit dem Wort Aktie konfrontierte. Und erst lange danach, nachdem schon Tausende Kleinanleger mit Aktien schöne Gewinne gemacht hatten, berichteten die großen Zeitungen des Landes in sehr distanziertem Ton über eine angebliche Belebung der Wiener Börse.

Erstes Resümee: das Bewußtsein der Bevölkerung ist mitunter

Zeitung - Dein guter Ratgeber dem der professionellen Beobachter weit voraus.

Wer hat denn zum Beispiel wirklich annähernd vorausgesagt, daß nach Einführung der Zinsertragssteuer schlagartig 20 Milliarden Schilling in das Ausland abfließen werden und daß davon, wie man heute weiß, ein gesunder Brocken aus dem Bereich der sogenannten kleinen Sparer kam? Vielmehr war die allgemeine Einschätzung doch so, daß die Anleger nach einer anfänglichen Empörung sich auch mit dieser neuen Abgabe abfinden würden.

Es ist weder meine Aufgabe noch Absicht, Politiker, Journalisten oder Schalterbeamte für solche Fehleinschätzungen zu schelten. Im Gegenteil: Zeitschriften, die sich darauf spezialisieren, bei den echten Bedürfnissen der Bevölkerung am Ball zu bleiben und sie abzudecken, können von solchen Versäumnissen sehr gut leben.

Es geht mir vielmehr darum, auf ein Phänomen hinzuweisen, das meiner Meinung nach zu derartigen Fehleinschätzungen führen muß. Das ist der Unterschied zwischen der Meinung der Öffentlichkeit und der veröffentlichten Meinung.

Um es so kurz wie möglich zu formulieren: Der Politiker XY steckt dem Redakteur NN ein bestimmtes Thema. Daraufhin sagt ein anderer Politiker einem anderen Redakteur, daß er davon gar nichts hält. In den Medien bricht ein Höllenspektakel los, die veröffentlichte Meinung kennt tagelang nur mehr dieses Thema.

Und die Meinung der Öffentlichkeit? Sie nimmt sehr wohl an diesem Schauspiel teil, sie liest die Berichte und ergötzt sich an den Streitgesprächen im Fernsehen. In Wahrheit aber interessiert den einzelnen primär: Wie löse ich meine Probleme im Beruf, wie finanziere ich die Ausbildung meiner Kinder, wie kann ich meine Wohnung günstig renovieren.

Zweites Resümee: Die veröffentlichte Meinung hat einen hohen Unterhaltungswert, ist für den Bürger aber sehr oft völlig wertlos.

So passiert es dann eben, daß wir ein monatelanges Zest-Hick-hack erleben oder, wie derzeit, ein monatelanges Steuerreform-Hickhack über uns ergehen lassen müssen. Dutzende Mandatare und Redakteure erquicken uns diesbezüglich mit mehr oder weniger geschliffenen Formulierungen.

Sie werden auch in diesen Tagen wieder auf die „veröffentlichte Meinung“ schielen, nach der Strategie „Was kommt an“ vorgehen und sie werden wiederum, so ist zu befürchten, an den echten Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei entscheiden.

Es ist denkbar, so meine ich, für alle Beteiligten hoch an der Zeit, in die Ära einer neuen Sachlichkeit einzutreten. Sowohl Politiker als auch Journalisten sollten sich doch endlich von den Verhaltensmustern der Kreisky-Ära lösen, wo diese Form der Ankündigungspolitik und lustvoll veröffentlichter Meinung zum Nonplusultra erhoben worden ist.

Damit in diesem Beitrag nicht immer nur von Geld-Themen die Rede ist: Wie zum Beispiel das Kapitel Umwelt diskutiert und beschrieben wird, ist meiner Meinung nach einfach beschämend: Neun von zehn Wortmeldungen sind entweder von einer übertriebenen Emotion, persönlichem Ehrgeiz, parteipolitischer Absicht _pder jschlicht Unverstand-. lichkeit geprägt.

Und dann wundert sich noch jemand, wenn die Bevölkerung noch immer nicht genug sensibilisiert auf Umweltfragen reagiert? Wie soll sie denn, wenn sie deutlich merkt, daß neun von zehn Umweltdiskutanten nur nach der „veröffentlichten Meinung“ schielen, nur darauf aus sind, schlagzeilenreif zu formulieren?

Mehr Sachlichkeit in der Diskussion und Berichterstattung hat allerdings, so dringend notwendig sie wäre, einen gravierenden Nachteil: Sie funktioniert nur in der Reihenfolge zuerst nachdenken und erst dann reden (schreiben). Sie erfordert auch ein gewisses Maß an Sachkenntnis.

Und dennoch: Meine Uberzeugung ist, daß in Zukunft sowohl jene Parteien als auch jene Zeitungen gefragt sein werden, die auf vordergründige Effekthascherei verzichten, die die wahren Bedürfnisse der Bevölkerung erkennen, sie analysieren und dann einer sachlichen Lösung zuführen.

Daher als drittes Resümee: Wer Sachlichkeit sät, wird Sachwerte in Form von Stimmen und Lesern ernten.

Der Autor ist Mitherausgeber des Wirtschaftsmagazins „Gewinn“.

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