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Die Zensur fällt, das Papier fehlt

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Metropolit Pitirim, Leiter des Verlages der russischorthodoxen Kirche in Moskau, hat der FURCHE ein in vieler Hinsicht aufschlußreiches Interview gegeben.

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Metropolit Pitirim, Leiter des Verlages der russischorthodoxen Kirche in Moskau, hat der FURCHE ein in vieler Hinsicht aufschlußreiches Interview gegeben.

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FURCHE: Herr Erzbischof, Parteichef Michail Gorbatschow hat bei dem Empfang des Patriarchen Pimen und anderer Mitglieder der Synode versprochen, daß die Rechte der Gläubigen durch eine Neufassung der Religionsgesetze abgesichert würden. Wann, meinen Sie, kann man mit den neuen Religionsgesetzen rechnen?

METROPOLIT PITIRIM: Die neue Gesetzgebung wird jetzt vorbereitet. Wenn der Entwurf fertig ist, wird darüber auch mit den Kirchenautoritäten diskutiert werden. Ich selbst habe den Entwurf der neuen Gesetze noch nicht gesehen, aber ich hoffe, daß diese Frage noch in diesem Jahr gelöst werden wird. Ich sehe das im Zusammenhang mit anderen Gesetzgebungen, die der gleichen Verfahrensweise unterliegen.

FURCHE: Der Artikel 52 der Gesetze über Kulthandlungen spricht von einer Trennung von Kirche und Staat. Aber trotzdem hat der Staat Einfluß auf kirchliche Angelegenheiten. Denn nach Artikel 14 übt der Staat eine Kontrolle über die Ernennung von religiösen Führungskräften aus. Ist Ihnen bekannt, ob an dieser Praxis etwas geändert werden soll?

PITIRIM: Die staatlichen Autoritäten können keine Priester nominieren, sie werden von den Bischöfen nominiert. Aber die staatlichen Autoritäten registrieren jeden Priester, indem sie die nötige Erlaubnis zur Zulassung in sein Amt geben. Für uns ist das sehr wichtig, weil der Bischof nicht immer wissen kann, ob ein Priesterkandidat auch einen guten Leumund hat. Denn der Apostel Paulus hat geschrieben, daß der Priester auch eine Autorität vor den Nichtgläubigen sein muß.

FURCHE: Könnten Sie auch einen Priester gegen den Willen des Staates einsetzen?

PITIRIM: Wir könnten ihn zwar nominieren, aber wenn der Staat Einwände hätte, würde sich eine verzwickte Lage ergeben. Es können sich aber auch Situationen ergeben, wo die lokalen Autoritäten den Priester ablehnen, und der Rat für religiöse Angelegenheiten befürwortet ihn.

FURCHE: Und wie sieht es mit Veröffentlichungen aus? Wird die Kirche in gleicher Weise wie zum Beispiel die atheistische KPdSU in religiösen Schriften für ihre Botschaft werben können?

PITIRIM: Die atheistische Propaganda hat nach der modernen Gesetzgebung Priorität. Der Religion wird die Gelegenheit gegeben, während der Messe zu predigen. Die antireligiöse Propaganda hingegen verfügt über die gesamten Medien.

FURCHE: Steht Ihnen für Ihre Druckerei genügend Papier zur Verfügung?

PITIRIM: Es ist für die gesamten Publikationen unseres Landes nicht genügend Papier vorhanden. Deshalb ist der Import von Papier aus Finnland notwendig, das aus unserem Holz hergestellt wird.

FURCHE: Wird die staatliche Zensur über Autoren in der kirchlichen Presse aufgehoben werden?

PITIRIM: Ja, aber nicht nur in der kirchlichen Presse, sondern in der gesamten Presse, in allen Zeitungen. Die großen Zeitungen behandeln die religiösen Probleme jetzt in einer positiven Weise.

FURCHE: Auch auf die Auswahl vonBewerbernfür das Priesterseminar übt der Staat Einfluß aus. Er tut dies mit der Begründung, um Fanatiker, geistig Gestörte und Extremisten von den Seminaren fernzuhalten. Wird sich künftig daran etwas ändern?

PITIRIM: Der Staat wählt die Seminaristen nicht aus. Wir sind sehr streng mit den Bestimmungen für unsere Seminaristen. Bewerber schicken uns ihre Unterlagen, und wir untersuchen, ob sie den kanonischen Regeln unserer orthodoxen Kirche entsprechen. Ein Priester kann nur einmal verheiratet sein. Der Kandidat darf zum Beispiel auch nicht unter Anklage stehen. Er darf nicht geistesgestört, krank oder körperlich behindert sein, denn als Priester muß er ein strenges Fasten einhalten. Und bei diesen Fragen leistet uns der Staat eine große Hilfestellung. Damit endet aber auch die staatliche Einflußnahme auf die Auswahl der Priesteramtskandidaten.

FURCHE: Laut neuesten Angaben stehen den 50 Millionen Gläubigen in nächster Zeit 250.000 Bibeln in russischer und 100.000 Bibeln in ukrainischer Sprache zur Verfügung. Ist das ausreichend?

PITIRIM: Nein, das ist nicht genug. Aber unser erstes Ziel war es, unsere kirchlichen Bibliotheken mit Büchern zu vervollständigen, die wir für das Feiern der Heiligen Messe brauchen. 99 Prozent dieser Aufgabe sind jetzt gelöst. Ich möchte aber, daß der Westen versteht, daß für uns die Heüige Messe wichtiger ist als das Lesen von Bibeln.

FURCHE: Wie weit geht die Glasnost ? Wird jetzt auch die Kirchengeschichte umgeschrieben werden, und wird man, wie es Ihr ehemaliger Mitarbeiter Wladimir Rusak in einer Predigt gesagt hat, „in dertKirche die Märtyrer aus der Stalinzeit nicht vergessen“?

PITIRIM: Wir beten für sie und haben immer für sie gebetet. Um die Geschichte zu revidieren, wäre ein Zugang zu den betreffenden Archiven nötig. Zur Zeit setzt sich keine besondere Kommission des Obersten Sowjets mit dieser Frage auseinander, aber ich hoffe, daß dieses Blatt unserer Geschichte noch geschrieben wird.

FURCHE: Man liest jetzt, daß eine neue Art von Dissidenten innerhalb der Kirche auftritt. Es ist von Leuten die Rede, die „Unruhe stiften“ und versuchen, eine Konfrontation zwischen Kirche und Staat herbeizuführen. Wer sind diese Leute?

PITIRIM: Es handelt sich um ungeduldige junge Leute, die wollen, daß sich die Dinge schneller verändern sollen, und das ist nicht gut. Es sind zumeist Konvertiten, die ursprünglich aus atheistischen Kreisen stammen. Leute, die, wie das Sprichwort sagt, katholischer sein wollen als der Papst. Namen will ich nicht nennen, ich möchte keine Werbung für sie machen.

FURCHE: Sind Christen immer noch Bürger zweiter Klasse in der Sowjetunion? Stehen ihnen alle Berufe offen?

PITIRIM: Die Religion ist eine persönliche Angelegenheit. Wenn jemand seine offizielle Position nicht dazu verwendet, um religiöse Informationen weiterzugeben, wird er auch von niemandem behelligt. Ich muß auch erwähnen, daß von meinen neun Geschwistern eine Schwester Professorin war und drei Brüder als Ingenieure leitende Positionen innehatten. Keiner von ihnen war ein Parteimitglied.

FURCHE: Werden jetzt jene Auflagen fallen, die die religiöse Erziehung betreffen?

PITIRIM: So weit sind wir noch nicht, die religiöse Erziehung ist weiterhin nur in der Kirche erlaubt. Ich hoffe aber, daß sich das ändern wird.

FURCHE:Der Wiener Metropolit Irenei hat in letzter Zeit geäußert, das Moskauer Patriarchat stehe einer Anerkennung der ukrainisch-unierten Kirche nicht mehr ablehnend gegenüber. Was sagen Sie dazu?

PITIRIM: Ich kann keinen Kommentar zu Äußerungen von Metropolit Irenei abgeben. Aber die Frage der ukrainisch-unierten Kirche ist die unbefriedigendste in unserer Kirche. Das Problem ist durch die aggressive Politik des Vatikans entstanden, in der Vergangenheit hat das großen moralischen Schaden in unserem Staat angerichtet. Jetzt sollte das Ganze im Geiste der neuen Gegebenheiten geregelt werden.

Das Gespräch führte Felizitas von Schönborn.

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