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Die zerstörte Würde von Räumen

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Die Provence ist reich an wunderbaren, geschichtsträchtigen, legenden-umrankten Kirchen. An einigen der bekanntesten dieser uralten Heiligtümer sind neben dem Eingang Tafeln angebracht, an denen Verhaltenshinweise für den Besucher vermerkt sind. Zum Beispiel wird angeführt, daß das Betreten in Badekleidung und das Mitführen von Tieren verboten sei. Auch sei es nicht erlaubt, in der Kirche zu essen, und dieses Verbot beziehe sich auch auf den Genuß von Eis. Darauf wird grundlos extra hingewiesen, kann man doch immer wieder in säuglingshafter Zufriedenheit an ihrer Eistüte lutschende Menschen unter den kühlen Gewölben dahin-schlendern sehen, als gingen sie durch eine Fußgängerzone.

Wieso weiß man inmitten des christlichen Kulturkreises und als dessen Angehöriger nicht mehr, wie man sich in einer Kirche zu benehmen hat? Warum spüren so viele Menschen nicht mehr, daß sie an einem besonderen Ort sind, dessen Kraft und Heiligkeit unabhängig ist, von ihrer persönlichen religiösen Einstellung?

Reisen ist ein Konsumgut geworden, an das wir gewöhnt sind, eine sommerliche Gewohnheit, nichts Besonderes mehr. Reisen ist Urlaub. Und der ist der Ausnahmezustand innerhalb des Jahres. Da gelten die sonstigen Normen nicht. Da gilt nur der eigene Egoismus, infantil regrediert. Land und Leute, Natur und Kultur -als wäre alles ein einziger Ferienclub, ein Konsum-Terrain. Man konsumiert Küche wie Kirche. „Konsumieren” ist ein undifferenzierter Begriff, der nichts über die Qualität dieses Vorganges aussagt.

Die reisenden Massen weiden die prominenten Orte ab und lassen sie in einem Zustand ermüdeter Leere zurück. Aber gerade der Genius, der einen Ort bewohnt, ist es, um dessent-willen sich jene auf den Weg machen, deren Reiseziel nicht nur das Schauen, sondern das Aufgenommen- und Durchdrungensein von der Atmosphäre des Geschauten ist. Nicht nur dem, was sich den Sinnen, sondern was sich der Seele mitteilt, dem lebendigen Geist gelten die Erwartungen. Er ist das Geheimnis, dessen Nähe man sucht, die Botschaft, die uns über Jahrhunderte erreicht, rätselhaft, in Worte nicht zu fassen, ergreifend. Solche Erlebnisse gehören zu den be-glückendsten und unvergeßlichen Augenblicken einer Reise.

Jedoch die erhoffte Begegnung mit dem genius loci kann kaum mehr stattfinden, da die Auswüchse des Massentourismus die ehrwürdigsten Stätten unseres Kulturerbes mit einer Art Jahrmarkttreiben erfüllen. Je lauter, umso schweigsamer wird der Ort selbst, wie ein Instrument, dessen Form man noch bewundem, dessen Musik man aber nicht hören kann.

Auf Energiefeldern gebaut

Seit man sich des vergessenen Wissens der Geomantie wieder zu erinnern sucht, ist bewußt geworden, daß Kirchen und Kulturstätten immer auf Plätzen von besonderer Strahlungsbeschaffenheit errichtet wurden. Die spezifischen energetischen Feldstrukturen spielten die maßgebliche Rolle bei der Standortwahl. Man suchte den „heiligen Ort”. Völker und ihre Kulte verschwanden im Lauf der Zeit, aber nachfolgende Religonen übernahmen diese Orte. Sie überbauten alte Kultplätze und errichteten ihre Kirchen über den Resten antiker Tempel. Der Bau sollte die ortsgebundenen Energiepotentiale wie ein Resonanzraum verstärken.

Es ist keine schöngeistige Einbildung, wenn man den Geist eines Ortes oder Raumes in seiner Lebendigkeit wahrnimmt und sich durch ihn euphorisch und entrückt, harmonisiert und gestärkt fühlt. Die Menschen hätten nicht seit eh und je die Strapazen der Pilgerfahrten auf sich genommen, wären sie nicht der Überzeugung gewesen, daß an bestimmten Orten besondere Hilfe zu erwarten ist. Jörg Purner, Lehrbeauftragter für Technische Wissenschaften an der Universität Innsbruck, hat viele Kirchen und Kultstätten radiästhetisch untersucht und jenes Unsichtbare vermessen, das das außergewöhnliche Fluidum eines heiligen Ortes ausmacht (,JRadiästhesie - Ein Weg zum Licht?” M&T Edition Astroterra).

Stört der Massentourismus die feinen Strukturen der Energie? Trampelt er sie quasi nieder? Vielleicht ließe sich diese Frage radiästhetisch beantworten. Oder sollte im Massentourismus eine verkommen Abart ziellosen Pilgems zu vermuten sein?

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