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Die Zerstorung fortsetzen

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Das alte Salzburg ist ein sakral geprägtes Baukleinod in einer der schönsten Landschaften der Erde. Heute ist davon nur noch das weitere Panorama intakt. Der Kern der Stadt hat manches eingebüßt, wenngleich sein Zauber fortwirkt. Die reizvolle Umgebung im Weichbild Salzburgs ist jedoch größtenteils von Beton- und Ziegelwucherungen entstellt. Vornehmlich in der kurzen Zeit seit 1945 wird durch planloses Zersiedeln und architektonisches Unvermögen alles beeinträchtigt, was frühere Jahrhunderte an Kunst und Können hinterlassen haben. Die Situierung und Errichtung einer philosophischen Fakultät hätten endlich wieder Gelegenheit zum Anknüpfen an das exemplarisch Gelungene gegeben. Um so bedauerlicher, daß beides zu einem Anlaß wurde, das Zerstörungswerk fortzusetzen.

1962 wurde die Universität Salzburg als umfassende Studienstätte wieder errichtet. Im Sommer desselben und des darauffolgenden Jahres fand an der Salzburger Internationalen Sommerakademie ein Architekturkurs statt, der sich mit der universitären Standortfrage beschäftigte. Leiter dieser Arbeiten war Professor Roland Rainer.

Das Ergebnis der ausgearbeiteten Studie konnte bereits 1964 vom Universitätsreferat des Magistrates der Stadt Salzburg der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Rainer empfahl als besten Standort ein unverbautes Gebiet zwischen Nonntal und Leopoldskron.

Die Vorzüge, welche dieser Platz aufweist, sind in der Tat erklatant. Er steht in enger Beziehung zur Altstadt auf der anderen Seite des Mönchsberges — die Entfernung ließe sich durch einen Fußgängertunnel in zehn Minuten bewältigen. Außerdem könnte eine Umfahrungsstraße in der Nähe vorbeigeführt werden, so daß die Lage auch dem Autoverkehr entgegenkommt. Vor allem böte der Standort Nonntal-Leopoldskron nach Rainers Vorschlag aber die Möglichkeit, das Höfesystem der Altstadt spiegelbildlich wieder aufzunehmen. Das Inein-anderspielen der verschiedenen Lebensbereiche am Ort einer geistig verbindlichen Ordnung käme also auch in der äußeren Gestalt zum Ausdruck.

Unrealistisch war die Studie bloß in einer Hinsicht. Sie setzte voraus, daß die ganze Universität an einem Platz zusammengefaßt werden würde. Bereits in den ersten Aufbaustadien einigte man sich jedoch darauf, wesentliche Teile in der Altstadt selbst unterzubringen. So wird die juridische Fakultät zum Beispiel nach dem Umsiedeln der Bundespolizeidirektion in den Toskanatrakt der Residenz einziehen.

1966 wurde von Bund, Land und Stadt einerseits sowie den akademischen Vertretern anderseits ein Entwicklungsprogramm für die Universität beschlossen. Neben der Adaptierung von alten Gebäuden war vorgesehen, die philosophische Fakultät auf dem von Rainer empfohlenen Areal zu bauen. Da die Hälfte der Fläche ohnedies der Stadtgemeinde gehört, schien der Ankauf des übrigen kein Problem; einzig die Höhe der Grundablöse blieb offen. Die achritektonische Planung sollte als internationaler Wettbewerb ausgeschrieben werden.

Gegen diese Projektierung trat noch im gleichen Jahr ein sogenannter „Kulturpolitischer Arbeitskreis“ mit Vehemenz auf. Von Seiten dieser Gruppe wurde behauptet, der Standort Nonntal-Leopoldskron sei in jeder Weise ungeeignet. Denn die dortige Grünzone müsse man als Erholungsgebiet erhalten und das idyllische Landschaftsbild dürfe nicht gestört werden. Außerdem wäre der Hochschulbetrieb für die Einrichtung einer Kurzone im Gebiet des Leo-poldskroner Weihers von Nachteil. Am gravierendsten aber sei, daß die in Aussicht genommenen Gründe für einen sukzessiven Ausbau viel zu klein seien.

Das Argument mit dem Erholungsgebiet war leicht zu kontern. Bis auf einen kleinen Park, ein Altersheim, eine Stadtgärtnerei' und ein paar Gärtchen ist dort nämlich gar nichts erschlossen. Der Landschaftsschutz konnte auch kein echtes Anliegen sein, wie sich aus dem Gegenvorschlag ergab. Ansonsten hätte der Architekt Garstenauer, ein Mitglied des Arbeitskreises, nicht einen Streifen entlang der Heilbrunner Allee als geeigneten Standort propagieren dürfen. Was Garstenauer vorschlug, hätte eines der Herzstücke des Salzburger Raumes verwüstet. Daß dieses Gebiet aber ein Naturpark und nicht Bauland sein soll, hat voriges Jahr eine Bürgerinitiative mit mehr als 24.000 Unterschriften nachdrücklich klargestellt.

Der Landschaftsschutz hatte übrigens in Nonntal-Leopoldskron auch noch einen anderen Vertreter, und zwar Professor Clemens Holzmeister. Seine diskrete und doch energische Gegnerschaft zum Universitätsprojekt entsprang nicht etwa der kollegialen Befürchtung, Rainer möchte in der Salzburger Baugeschichte zumindest neben dem Architekten des Festspielhauses rangieren. Worum er — so munkelte man — angeblich besorgt war, das war die Erhaltung der unverbauten Aussicht vor seinem Haus. Daß der Standort schließlich verlegt werden mußte, ist von der Warte seines Wohnzimmers aus gewiß erfreulich.

Zurück zu den damals geäußerten Vorwürfen. Der nächste Punkt, die angebliche Störung des Kurzonenprojekts, war ebenfalls nicht einzusehen; akademische Aktivitäten pflegen bekanntermaßen nicht ruhestörend zu sein. Und die Hauptanschuldigung, die Universität habe im schlechten Sinn intuitiv geplant, ließ sich schon gar nicht hallten. Denn sie wurde von Leuten vorgetragen, die sich in ihrem Expertentum an wenig mehr als an den statistischen Kriterien der Bedürfnisbefriedigung orientieren. Die Universität war jedoch völlig zu Recht der Ansicht, daß die Alleinherrschaft einer solchen Gesinnung bei ihrem Beginnen verderblich sei. Deswegen wurden die entsprechenden Kriterien zwar in ihren Grenzen berücksichtigt, im ganzen aber der bodenständigen Verpflichtung zu Edlem dienstbar gemacht. Für eine philosophische Fakultät war der Standort Nonntal-Leopoldskron nicht allein geräumig genug, sondern auch sonst der günstigste.

Da die Universität nun die besseren Argumente für sich hatte und da alles endgültig beschlossen schien, unterschätzte sie leider ihre Gegner. Alsbald gelang es ihnen, SPÖ und FPÖ für Garstenauers Projekt, den Standort Heilbrunner Allee, zu gewinnen. Anfang 1967 stieß die Auffassung des Akademischen Senats in der Situierungsfrage erstmals auf offizielle Bedenken bei der Stadtgemeinde. Kaum ein Jahr später war es dann soweit: Die Stadt lehnte den von der Universität vertretenen Standort definitiv ab.

Sechs Jahre fruchtbarer und aussichtsreicher Planung waren umsonst. Aus gewichtigen Gründen weigerte sich die Universität ihrerseits, den von der Gegenpartei vertretenen Standort zu akzeptieren. Ihre Raumnot hingegen wurde immer ärger, so mußte auf einen Kompromiß eingegangen werden — das Areal rings um das Wasserschloß Freisaal wurde zum Standort bestimmt.

Natürlich war für Freisaal überhaupt keine Planung erstellt. Da sieh auch die zuständigen Ministerien düpiert fühlten, mangelte es überdies an der Unterstützung des Bundes. So mußten die Kosten des Grunderwerbs von Land und Stadt ganz allein getragen werden. Diese beträchtliche Mehrbelastung der beiden Körperschaften führte zu weiteren Verzögerungen. Erst im Herbst 1972 wurde in aller Stille ein Architektenwettbewerb von einem halben Jahr Laufzeit für die Verbauung der Freisaalgründe ausgeschrieben. Die ruhigen Zeiten, da man Musterlösungen international bedeutender Architekten ins Auge faßte, sind vorbei.

Was verschlägt's da noch, daß dem neuen Standort der architektonisch überzeugende Bezug zur Altstadt völlig abgeht? Man ist schon froh, die Studenten und Professoren mit relativ kurzen Anmarschwegen trösten zu können. Am schlimmsten ist indessen, daß sich das zu erwartende funktionale Betonelend just in jene Landschaft hineinfressen wird, deren Schutzwürdigkeit die erwähnte Bürgerinitiative überzeugend nachgewiesen hat. Was für Salzburg eine einmalige Chance der Wiedergeburt seines abgestorbenen Baugenies hätte sein können, endete in Verschandelung und weiterem Substanzverlust.

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