6822395-1973_44_11.jpg
Digital In Arbeit

Die Zierde Kataloniens

Werbung
Werbung
Werbung

Der weltberühmte Cellist, der eigenwillige Bach-Interpret, der Dirigent und der Komponist, schließlich der Gastherr von Pra-des und Perpignan, umgeben von Kollegen, Schülern und Bewunderern — das alles war Casals. Aber damit ist seine Persönlichkeit noch nicht vollständig umschrieben. Er war mehr, dieser gebürtige Katalane, der am 29. Dezember 1876 in Vendrell bei Tarragona als Sohn eines Organisten und Musiklehrers geboren wurde und dem zeit seines Lebens — Symbol so vieler Mißverständnisse um ihn — ein falscher Vorname anhaftete. Denn er hieß Pau und nicht Pablo.

Der Vater also war Organist, Pau begann als Violinspieler in einem kleinen Kaffeehaus in Barcelona, wo er bald durchsetzte, an einem Tag in der Woche nicht die übliche Unterhaltungsmusik zu spielen, sondern andere, große, erhabene Musik, die die Menschen emporheben, bessern sollte. Durch den Komponisten Isaac Al-beniz kam er mit dem Hof in Verbindung und erhielt von der Königin ein Stipendium, mit dem er in Madrid am dortigen Konservatorium studieren konnte.

Danach wurde er an einen berühmten Lehrer nach Brüssel empfohlen, aber es kam nur zu einem kurzen Antrittsbesuch: „Nein“, sagte Casals zu dem Hochberühmten, „Sie haben mich schlecht empfangen. Sie sind kein Künstler.“ — Nichts ist für Casals charakteristischer als diese Einstellung. Danach ging er nach Paris, ohne Stipendium, und begann dort — keineswegs, wie die Legende kündet, als erster Cellist im Opernorchester, sondern an der Operettenbühne der „Folies

Marigny“. Dann freilich kam die Weltkarriere, die mit Konzerten in Paris und London begann. 1901 war er zum erstenmal in den Vereinigten Staaten, zwei Jahre später in Südamerika. Und wieder zwei Jahre später gründete Casals mit Thibaud und Cortot ein Trio, das bald weltberühmt werden sollte...

Aber immer wieder zog es ihn in die Heimat, nach Katalonien, wo er 1920 das „Orquesta Pao Casals“ gründete und leitete. Das war sein größter Stolz, wohl auch deshalb, weil endlich einmal sein Name richtig gedruckt werden mußte. Hier veranstaltete er Sonntagvormittagskonzerte: für Metallarbeiter und in Warenhäusern, für Weber und Hafenarbeiter. Und alle'kamen — um Bach zu hören. Den hatte er frühzeitig, als halbes Kind, kennengelernt. Und ihm blieb er treu bis in seine letzten Jahre.

Dann kamen unruhige, schicksalsschwere Jahre: für Spanien, für die ganze Welt, auch für Casals. Noch knapp vorher war er mit dem Doktorat der Universität von Barcelona ausgezeichnet worden: „Cathaloniae decus“ stand in der Urkunde: „Zierde Kataloniens.“ Aber bald danach wird sein Vermögen eingezogen und er selbst zur persona ingrata erklärt. Casals verläßt seine Heimat — und verstummt für volle zwölf Jahre. Er lehnte es nicht nur ab, in den faschistischen Feindstaaten des republikanischen Spanien zu spielen, sondern auch London und Paris, New York und Stockholm kehrte er den Rücken. — Erst 1950, anläßlich des 200. Todestages von Johann Sebastian Bach, spielte er zum erstenmal wieder in der Öffentlichkeit. Es

geschah in Prades, das seither zu einem Wallfahrtsort der Musiker wurde.

Hier musizierte er gemeinsam mit Szigeti, Stern, Serkin, Clara Haskil und anderen. Und hier konzertierte er für die vielen, die Jahr für Jahr kamen, um ihn zu hören. Bald wurde Prades zu klein, und er übersiedelt mit seinen Konzerten und Kursen nach Perpignan, ins Schloß der Königin. Die bei den Aufführungen mitwirkenden Musiker, auch die berühmtesten, spielten ohne Honorar. Sein Publikum, seine Gemeinde, war amorph. Kenner, Snobs und Ahnungslose bildeten ein Konglomerat, das sich aber nicht etwa kraft der Magie, der Verzauberung, sondern durch Kommunikation in ein ebenso aufmerksames wie enthusiastisches Auditorium verwandelte.

Im Mittelpunkt stand immer Bach. Uber Casals* eigenwillige, romantische Interpretation ist viel geschrieben, auch viel gespöttelt worden. Aber als er Bach zu entdecken und zu spielen begann, hat es diese Stilprobleme noch kaum gegeben. Es ging Casals ja nicht darum, der Musik Bachs historisch gerecht zu werden, sondern sie den Massen zu vermitteln. Hatte sich der Traum des Knaben aus dem Cafe „Tost“ verwirklicht? Seine Gemeinde, vor allem aber die enge Freundschaft mit Albert Schweitzer, dem besten Bach-Kenner jener Zeit, schien das zu bestätigen. Bei seinen Interpretationskursen in Zermatt hat Casals auch nie eigentlich analysiert und erklärt, sondern er setzte der Auffassung seiner Schüler die eigene entgegen, und zwar durch das Beispiel. Als Beispiel — nicht als Vorbild. Auch daß er es nicht verschmäht, seine „strengen“ Programme mit Piecen von Popper, Granados, Goddard, Valentino und geringeren ausklingen zu lassen, gehört

zum Gesamtbild von Casals. Musik — nicht vom Piedestal, sondern unter Menschen — für Menschen!

In Casals war der humanistische Glaube an das verlorene Paradies lebendig, in das man die Menschen mittels der Musik wieder hineinführen konnte. Darin war

er, der erbitterte Feind der Stierkämpfe, die er als „andalusdsche Barbarei“ bezeichnete, Mahatma Gandhi, Romain Rolland und seinen Lieblingsautoren Lorca und Vercors, Plato, Goethe, Bergson und Baudelaire näher verwandt, als den Pultvirtuosen von heute.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung