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Die zornige Apathie

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Die Jugend beteiligt sich nicht an Politik, außer der Atomkraft kann sie nichts aus dem Schmoll- oder Resignationswinkel hervorholen, sagen die einen.

Die Jugend wacht wieder auf, ein neues Jahr 1968 kommt auf uns zu, sagen angesichts täglicher Meldungen von Jugendkrawallen, Hausbesetzungen und Demonstrationen die anderen.

Wer ist der Wahrheit näher?

Jüngste Äußerungen von Soziologen scheinen zunächst der ersten Meinung rechtzugeben. So sehen Fritz Plasser und Peter Ulram in Österreich folgende „Härtegrade der politischen Distanz“:

45% meinen, es habe keinen Einfluß auf ihr Leben, welche Partei gerade an der Regierung ist, 23% empfehlen, junge Leute sollten die Finger von der Politik lassen, und immerhin 9% bejahen sogar den Satz „Es ist mir im Grunde egal, ob ich in einer Demokratie lebe oder nicht“.

Ein vom Wiener Soziologen Univ.- Prof. Leopold Rosenmayr herausgegebenes Werk vergleicht die Situation in mehreren Ländern (Österreich, BRD, Niederlande, USA, Großbritannien) und stellt fest, daß die Beteiligung des Österreichers, ob jugendlich oder erwachsen, an konventionellen politischen Verhaltensweisen überhaupt relativ gering ist.

Rosenmayr sieht ein generelles Abnehmen der Bereitschaft, sich politisch zu engagieren. Wo diese Bereitschaft noch vorhanden ist, wird sie zunehmend außerhalb der alten Institutionen in die Tat umgesetzt.

Bestätigend wirkt hier die Studie von Roland Deiser und Norbert Winkler (österreichische Gesellschaft zur Förderung der Forschung). Danach lehnen beispielsweise nur 36,2% der Österreicher das Mitmachen in einer Bürgerinitiative und nur 29,4% die Unterstützung eines Volksbegehrens grundsätzlich ab, aber 68,3% verweigern die Mitarbeit in einer kirchlichen Organisation, und 73,1% wollen nicht aktiv in einer Partei mitarbeiten.

Die Winkler/Deiser-Studie kommt aber eindeutig zu dem Schluß: „Am of fensten für Partizipation ist in allen Bereichen die Gruppe der Jüngsten. Entgegen der vorherrschenden Meinung kann also nicht von einerjugendspezifischen Politikverdrossenheit gesprochen werden.“

Natürlich muß es bestimmte Ursachen haben, daß die theoretisch gegebene Offenheit der Jugend für Politik in den letzten Jahren immer weniger praktischen Niederschlag fand, daß ein Rückzug aus der Gesellschaft stattgefunden hat, der - so Prof. Rosenmayr - als „zornige Apathie“ bezeichnet werden könnte: Resignation auf der einen, besondere Aktivität (auch Krawalle, Wandbesprühungen und dergleichen) auf der anderen, kleineren Seite.

Wo liegen nun die Ursachen dafür?

„Die Jugend ist heute eben zu verhätschelt“, antwortete jüngst ein Schüler bei den „Frauenberger Europatagen“ (einer jährlichen Veranstaltung mit Ju gendlichen über die europäische Integration im steirischen Ennstal) auf diese Frage.

„Den jungen Leuten fehlen Ideale und Werte“, sagt die ältere Generation und muß sich von der Jugend dafür anhören, daß diese vielzitierten Werte heute der Jugend meist nur vorgeredet, aber nicht vorgelebt werden, schon gar nicht von den Politikern.

Ein Schlüsselsatz steht wohl in der Zusammenfassung zur Rosenmayr- Studie: „Personen mit einer Werthaltung, die über pragmatisch-materialistische Orientierungen hinausgeht, haben das stärkste politische Engagement.“

Die logische Konsequenz wäre dann auch, daß die Parteien wieder mehr als derzeit von Werthaltungen statt von pragmatisch-materialistischen Orientierungen ausgehen.

Mit den klassischen Begriffen „links“ und „rechts“ verbinden, wie Rosenmayr ausführte, viele Befragte falsche Vorstellungen. Ein Zeichen, daß diese Begriffe nicht mehr zeitgemäß sind?

Die neue Polarisierung, die Rosenmayr aufzeigt, lautet nun: „Materialisten“ kontra „Postmaterialisten“.

Ersteren geht es vor allem um Verbrechensbekämpfung, wirtschaftliche Sicherheit und stabile Preise. Sie besitzen in allen untersuchten Ländern, auch bei der Jugend, eine klare (aber inaktive) Mehrheit.

Letztere, in den Niederlanden immerhin schon 17% der Gesamtbevölkerung, setzen sich für Ziele wie Meinungsfreiheit, Mitbestimmung und Umweltschutz besonders ein. Sie sind eine (politisch hochaktive) Minderheit, zu der besonders finanziell und bildungsmäßig bessergestellte Jugendliche (also eher das „bürgerliche Lager“) tendieren.

„Postmaterialisten“ neigen eher zu unkonventionellen politischen Methoden, um ihre Ziele durchzusetzen, Jugendliche ebenfalls. Das Besetzen von Häusern, das Beschädigen von Sachwerten und die Gewaltanwendung gegen Personen wird umso mehr gebilligt und für politisch wirksam gehalten, je jünger die Befragten sind. Die klare Mehrheit gibt aber Unterschriftensammlungen und angemeldeten Demonstrationen den Vorzug.

Die Winkler/Deiser-Studie ermittelte für Österreich einen deutlichen Wunsch nach mehr Kontrolle der Politiker und verstärktem Ausbau plebiszitärer Instrumente (Volksabstimmung, Volksbefragung).

Das Resümee dieser Fülle von Material aus dem Reich der Soziologen für Österreich: Die Jugend ist durchaus interessiert an Politik, sieht aber in den bestehenden Parteien keine Alternativen und wenig Chancen, eigene Ideen durchzusetzen. Die politisch Aktiveren haben neue Wertvorstellungen, sind aber gegenüber den Inaktiven klar in der Minderheit.

Aus dieser Ohnmacht gegenüber den „Materialisten“ werden die „Postmaterialisten“ wohl auch in Zukunft zu unkonventionellen politischen Mitteln greifen, um auf sich aufmerksam zu machen. Vor Sachbeschädigungen und Gewalt gegen Personen ist ihnen aber dringend abzuraten.

POLITISCHE BETEILIGUNG UND WERTWANDEL IN ÖSTERREICH. Hrsg. Leopold Rosenmayr, Verlag für Geschichte und Politik. Wien IQRO. 312 Seiten öS 280,-.

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