6826947-1974_17_01.jpg
Digital In Arbeit

Die Zündschnur brennt

Werbung
Werbung
Werbung

Man muß kein politischer Meteorologe sein, um zu bemerken, daß sich die innenpolitische Wetterlage auf „veränderlich“ dreht.

Das hat nun vorweg wenig oder gar nichts mit den diversen Ankündigungen und Überlegungen zu tun, die mögliche Bundespräsident-schafltswahlen betreffen. Vielmehr geht es um mehr: um die nächste Weichenstellung für die Regierungspolitik in Österreich.

Die allerorts auftauchenden Plakattafeln und die vom Regierungschef und SP-Vorsitzenden angekündigte „Aufklärungsaktion“ deuten darauf hin, daß man in den Parteihauptquartieren so etwas wie eine halbe Wahlkampagne eröffnet hat. Und vermutet man noch so etwas wie politische Planung hinter den Aktionen der Regierungspartei (wer könnte das von Bruno Kreisky etwa nicht annehmen?), dann deutet alles darauf hin, daß diese Legislaturperiode nicht voll zu Ende geführt wird. Nun verweist der Regierungschef immer wieder darauf, daß „rebus sie stantibus“ keine Neuwahlen geplant sind. Aber wer ändert die „Dinge“? Möglicherweise doch der Regierungschef selbst. Hat er doch auch das Geschick seines Amtsvorgängers im Kopf: Mit offenen Augen ist die ÖVP-Alleinregierung schnurgerade am letzten möglichen Sonntag ihrer vierjährigen Legislaturperiode in die Niederlage gegangen; obwohl sie — zumindest der Meinungsforschung zufolge — früher besser abgeschnitten hätte.

Denkbar sind zwei Vorzeit-Wahl-termine: der Herbst 1974 und das Frühjahr 1975. Für beide gibt es in der SPÖ Präferenzen:

• Ein Herbstwahlkampf ermöglicht der SPÖ noch vor dem Sommer den Abschuß ihrer Rakete: verhindert die ÖVP ausreichende Maßnahmen gegen den Preisauftrieb, dann ist die Abgrenzungsrampe gefunden. Gegen eine nicht zustimmungsbereite ÖVP ließe sich die Inflationswaffe kehren (siehe dazu auch Seite 4). Dazu kommt, daß das Budget für 1975 noch nicht fertig ist. Es wird eine wahre Ausgabenexplosion (gebundener) Mittel bringen; Experten sprechen allein von 70 Milliarden Schilling Personalausgaben des Bundes. Ein solches Budget in einer Budgetdebatte parallel zu 10 Prozent Inflation durchzustehen, muß geradezu herkulische Kräfte binden. Ist Kreisky noch ein Herkules?

• Aber selbst wenn sich keine ausreichende Basis für einen Wahlherbst bauen läßt, könnte auch ein Frühjahrstermin der SPÖ Chancen geben. Selbst bei Andauern der zweistelligen Teuerungsrate könnte eine Steuersenkung zu Jahresanfang 1975 die Österreicher zu mehr Freundlichkeit gegen die Regierung animieren. Der „Dank“ währt freilich nur so lange wie die Erinnerung an das vollere Locksackel — bis auch diese Steuersenkung wieder von der Inflation aufgefressen wird.

Abseits dieser höchst vordergründigen Zusammenhänge zwischen politischer Kurzsichtigkeit und Werbestrategie muß man sich aber doch fragen, ob es denn tatsächlich sachlich und nützlich ist, das Parlament vorzeitig aufzulösen. In der Zeit der großen Koalition wurden stets jene Fragen, über die man sich im Koalitionsausschuß nicht einigen konnte, dem Wähler vorgelegt. So zerbrach die Koalition 1959, 1962 und 1965 an nicht lösbaren Sachmaterien und an nicht zu vereinbarenden Budgets. 1971 löste sich der Nationalrat deshalb auf, weil die Instabilität der Minderheitsregierung nicht länger tragbar schien und die SPÖ berechtigterweise eine absolute Mehrheit erwarten konnte.

Nun, 1974/75, fehlen solche Voraussetzungen gänzlich. Tatsächlich gibt es keinen sachlichen Grund, warum man Neuwahlen vorzeitig ansetzen müßte. Die Regierungspartei verfügt über jene Mehrheit im Nationalrat, die ihr die Erfüllung ihres Regierungsprogramms ermöglichen würde. Und stimmt die ÖVP heute einem Verfassungsgesetz nicht zu, so wird sie das auch nach Wahlen wahrscheinlich nicht tun. Das Ergebnis einer Nationalratswahl kann wohl kaum fehlende Zweidrittelmehrheiten im Nationalrat ersetzen.

Und doch wird die Frage der Erfüllung des Regierungsprogramms die zentrale Strategiefrage für Bruno Kreisky sein. Was sich jetzt für den Rest der Legislaturperiode an unerledigten Fragen zusammengeschoben hat, ist aufgeschobene Konfrontationsmaterie. Gerade in denjenigen Regierungsvorlagen oder Gesetzesabsichten, die nicht erledigt sind, steckt der gefährlichste Sprengstoff — ein gesellschaftspolitisches Dynamit. Da ist zuerst die Rundfunkmaterie, bei der die Umwandlung des ORF in eine Bundesanstalt noch allerhand Staub aufwirbeln wird — vor allem aber dem Rundfunk-Volksbegehren selbst dann zuwider laufen wird, wenn sie der ORF-Generalintendant heute gou-tiert (siehe auch Seite 4). Das Mietengesetz bleibt selbst dann ein ganz schwerer Brocken für die Ideologen in allen Parteihauptquartieren, wenn da Assanierungsgesetz den Natio-nalrait passiert hat. Nicht unähnlich ist es mit anderen Rechtsformen (wie mit dem Familienrecht). Vor allem aber liegt da in einem Parlamentsausschuß auch das Universi-tätsorganisationsgesetz — das wohl komplexeste Material für langfristige Gesellschaftspolitik. Dazu kommt, daß der Ärztekonflikt ja keineswegs erledigt ist. und die Spitalsreform weitergehen muß — mit allem Zündstoff, der in ihr noch steckt (siehe dazu Seite 6).

Bei allen diesen Vorhaben kommt deutlich die Tendenz zum Ausdruck, daß es zwei Denkrichtungen in der SPÖ gibt: soll man jetzt noch möglichst schnell möglichst viele „ge-sellschaftsändernde“ Taten setzen

— oder sich angesichts schwankender Wechselwähler lieber gesellschaftspolitisch „neutral“ verhalten?

Die Problematik spitzt sich also auf eine relativ einfache Formel zu: wird gerade nach Salzburg, nach den ersten Schlappen und Schwächen der Regierung Kreisky — die Zündschnur von dieser selbst angezündet

— oder flieht man vor der Auseinandersetzung im Parlament lieber in die Wahlschlacht — mit ungelösten Problemen weit vor sich, und auf Fortuna und Wahlglück bauend?

Die Opposition kann derzeit nur zusehen — und sich vorbereiten. Sie tut aber gut daran, die Regierung daran zu erinnern, daß diese gefälligst allein ihr Regierungsprogramm erledigen soll — so wie sie auch allein ihr Kabinett zusammengestellt hat. Und das heißt: bis zum Herbst 1975.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung