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Die Zufallsgemeinschaft der Diskriminierten

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Das weltpolitische Panorama wird nicht nur von der Auseinandersetzung zwischen den drei „Großen“, zwischen Washington, Moskau und Peking beherrscht, sondern auch von dem Kampf belebt, den „kleine“ Staaten gegen die Mehrheit der UNO führen. Dabei handelt es sich um Konflikte, die völlig verschiedenen Ursprungs sind. Nationalchina (Taiwan) erdrosselt man, um Peking gefällig zu sein; Israel wird in die Enge getrieben, weil die Araber mit Hilfe ihres Erdöls an entscheidender Macht gewonnen haben; Südafrika wird isoliert, weil andere das Kap der Guten Hoffnung besitzen wollen; 70 Prozent aller lateinamerikanischen Regierungen werden diskriminiert, weil sie Diktaturen sind und politische Gefangene foltern sollen. (Als ob es im Ostblock, in Afrika oder in Asien freie Wahlen und keine politischen Gefangen und keine Folterungen gäbe!) So entsteht zwischen Taiwan, Israel, Südafrika und den lateinamerikanischen Ländern, was man juristisch eine „Zufallsgesellschaft“ nennt. Staaten, die wenig miteinander gemeinsam haben, werden durch gleichzeitige Diskriminierung zueinander geführt.

Das Ergebnis könnte nicht paradoxer sein. Der Ex-Nazifreund und Rassist Vorster besuchte Israel, das ein böswilliger Mehrheitsbeschluß der UNO vom Verfolgten zum ,; Verfolger“ umstilisierte.

Während Argentinien und Brasilien die diplomatischen Beziehungen zu Peking aufgenommen haben und sie deshalb zu Taipeh abbrechen mußten, unterhält das Chile Pinochets wegen des gemeinsamen Hasses gegen Moskau beste Beziehungen zu Rot-China. Uruguay und Paraguay hingegen stehen zu Taiwan, das sich hiefür vielfach revanchiert: Auf uruguayischen Ausstellungen sieht man schöne nationalchinesische Pavillons, im Staatstheater tanzt das Taipeher Ballett und nationalchinesische Sport-Teams erregen Aufsehen in Montevideo.

Nicht beteiligt an der Isolierung Südafrikas sind Chile, Paraguay und Uruguay. Das „Spezialkomitee“ der UN-Generalversammlung, das sich mit Fragen der Apartheid befaßt, protestiert, weil die uruguayische Polomannschaft „Los Toros“ durch Südafrika reist, die südafrikanische Reservebank 20 Millionen Dollar in Montevideo deponiert hat, und die uruguayischen Exporte nach Südafrika von 500.000 Dollar auf 3,7 Millionen Dollar gestiegen sind. Chile, Paraguay und Uruguay wurden aufgefordert, alle Beziehungen zu Südafrika abzubrechen. Es ist grotesk, daß die neun afrikanischen Staaten, die diesen Beschluß inspirierten, ihrerseits in den ersten neun Monaten des Jahres 1976 aus Südafrika um 345 Millionen Rand importierten.

Bei objektiver Betrachtung ist die Solidarität zwischen Staaten, die weder geographisch in Verbindung stehen noch machtpolitisch füreinander wichtig sind, zwecklos oder gar schädlich. Die (abgeschnittenen) südafrikanischen Waffenkäufe in Israel wären für das militärische Potential Südafrikas unerheblich; umgekehrt kom-promitiert die Sympathie Vorsters den jüdischen Staat. Die lateinamerikanischen Staaten Chile, Uruguay und Paraguay haben weder für Nationalchina noch für Südafrika die geringste militärische oder wirtschaftliche Bedeutung. Die merkwürdige Annäherung zwischen diesen Staaten beweist, daß es sich hier nicht um ein Trotzbündnis von Regierungen handelt, die von einer Mehrheit diskriminiert werden, viel eher um Zufälle am Rande der Weltspannungen.

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