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Die Zukunft wartet im Sandkasten

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Eigentlich ist es paradox: Im Schatten der Tatsache, daß in Österreichs Innenpolitik seit Wochen nichts Wesentliches passiert, passiert Wesentliches. Spitzenpolitiker aller im Parlament vertretenen Parteien treffen nur noch selten zu politischen Sachfragen Aussagen, dafür widmen sie sich dem derzeit beliebtesten Spiel, der rhetorischen Schlammschlacht. In diesem verharmlosend „Sandkastenspiele“ genannten Wettstreit verkaufen die beteiligten Politiker aber bereits - ob sie wollen oder nicht - das Fell des erst im Herbst 1979 zu erlegenden Bären.

Wer mit wem nach 1979? Spätestens seit den Grazer Gemeinderatswahlen und der darauf folgenden Designie-rung von Alexander Götz zum neuen FPÖ-Bundesparteiobmann steht die Frage im Raum.

Geändert hat sich seither zuerst einmal die totale Siegesgewißheit der Sozialisten unter Väterchen Kreisky. Erstarrungserscheinungen der Regierung in Routine und Alltag, wachsende wirts'chaftspolitische Probleme und die mit der Zeit nur wachsende Sorge um eine attraktive Lösung für die Nach-Kreisky-Ära haben weite Kreise der Genossen nervös werden lassen.

Besser als jede Meinungsumfrage, die sich die Parteien fast nach Bedarf zurechtzimmern können, zeigte die Reaktion der Sozialisten auf das Grazer Gemeindewahlergebnis den Grad der Verunsicherung: Wer Graz kennt, weiß, wie hoch der Preis war, den die Sozialisten durch die überraschend angebotene Unterstützung für ÖVP-Obmann Franz Hasiba bereit waren zu zahlen. Nur, um die Freiheitlichen nicht zu ausgiebig fühlen zu lassen, wie die Macht schmeckt. Nur, um zu verhindern, daß es den Österreichern bald selbstverständlich vorkommt, daß auch zwei Parteien zusammenarbeiten können, während die Sozialisten zum Zuschauen verurteüt sind.

Die Dinge sind anders gekommen: Bruno Kreisky, der nur gewohnt ist, die Kreise der anderen zu stören, sieht seine eigenen Kreise empfindlich gestört.

Die hysterischen Manöver der Sozialisten angesichts der wohl selbstverständlichen Tatsache, daß eine demokratische Regierung von demokratischen Oppositionsparteien jederzeit abwählbar ist und sein muß, zeichnet wiederum ein sehr deutliches Bild: Die SPÖ fühlt, ohne es zugeben zu wollen, daß ein Verlust der absoluten Mehrheit in greifbare Nähe gerückt ist.

Das Rezept, vorsorglich gleich einmal wie wild um sich zu schlagen, hat also sicherlich etwas für sich, wenn mehr als ein Jahr vor der Entscheidung der Kern der Partei wachgerüttelt und vor selbstzufriedener Lethargie bewahrt werden soll. Insofern ist das Geschrei der SPÖ zugleich Selbstschutz und Vorwahlkampfstrategie, die signalisieren soll: Genossen, es geht um die Wurst!

Nur aus dieser Sicht wird verständlich, daß sich die Sozialisten seit Wochen dazu hergeben, bis über die Ellbogen in die Schlammkiste zu greifen. Die Angriffe von Götz auf Kreisky dürften hier übrigens nur den willkommenen Anlaß abgegeben haben: Als der FPÖler dem Bundeskanzler Papp ins Hirn steigen ließ, hatten die Sozialisten vermutlich schon den Schlamm in der Hand.

Die Argumente, mit denen sich die SPÖ in eine Rundumverteidigung gegen ÖVP und FPÖ zurückgezogen hat, sind in der Tat bestenfalls geeignet, rote Kernschichten aufzuputschen. Freilich gehen zur Zeit auch die Oppositionellen nicht mit Glacehandschuhen an die Arbeit, aber in der demagogischen Attacke sind die regierungssaturierten Sozialisten immer noch die „Besseren“: „Denn man sieht an den Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik, in Frankreich und den USA deutlich genug, wie belastend ein Konflikt mit der Arbeiterbewegung ist“, ziehen sich die drohenden Gewitterwolken im regierungsnahen Magazin „TOP“ zusammen. Auch in katholischen Kreisen formiere sich Widerstand, weiß „TOP“, „gegen eine politische Gruppierung..., die in der Ersten Republik für die Ereignisse von 1934 and später verantwortlich wurde“. Fehlt nur noch, daß ein Sozialist erklärt, Kurt Schuschnigg habe Adolf Hitler als seinen Nachfolger vorgeschlagen.

Wie die Chancen momentan stehen, ist nicht ganz klar zu erkennen. Fest steht, daß der wohlgepflegten sozialistischen Anmaßung, nur eine sozialdemokratische Regierung sei eine demokratische, entschieden entgegengetreten werden muß. Daß die Volkspartei wiederum das Klavier der verschiedenen Koalitionen spielt, ist nicht nur taktischer Schachzug, sondern einleuchtende Selbstverständlichkeit: Allein wird Taus auch nach 1979 nicht regieren können.

So bleibt für die ÖVP eine Koalition als Juniorpartner der SPÖ oder als großer Bruder der FPÖ. Für die erste Lösung empfehlen sich Hannes Androsch mit seinem neuen Buch und Leopold Gratz, der im Oktober Erhard Busek wird behutsam behandeln müssen, um sich selbst als Koalitionskanzler im Talon zu halten. Eine Koalition mit der FPÖ kommt dann in Frage, wenn es Alexander Götz gelingt, den Sozialisten die entscheidenden Stimmen zu nehmen, die sie für die absolute Mehrheit brauchen; dabei nehmen die Politiker der ÖVP, zumal jene Steirer, die an der Götz-Lösung nicht ganz unbeteiligt waren, auch in Kauf, daß sich Götz bei den Schwarzen eine größere Scheibe herunterschneidet als bei den Roten.

Was die FPÖ jahrelang war, möchte die ÖVP 1979 sein: Für Koalitionen nach beiden Seiten offen.

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