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Die Zwei-Fliegen-Doktrin

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Wenn es so kommt, wie der Bundeskanzler ankündigte, dann wird Österreich künftig ein Kleidungsstück anlegen, das bisher wahrlich nicht zum Austrian Look zählte: die Spendierhose. Zum erstenmal erklärte Dr. Kreisky schon im Juni, Österreich müsse endlich der UN-Empfehlung nachkommen und ein Prozent seines Bruttonationalproduktes für Entwicklungshilfe aufwenden; bisher lag es (wie übrigens die meisten anderen Industriestaaten auch) weit unter dieser Marke.

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Wenn es so kommt, wie der Bundeskanzler ankündigte, dann wird Österreich künftig ein Kleidungsstück anlegen, das bisher wahrlich nicht zum Austrian Look zählte: die Spendierhose. Zum erstenmal erklärte Dr. Kreisky schon im Juni, Österreich müsse endlich der UN-Empfehlung nachkommen und ein Prozent seines Bruttonationalproduktes für Entwicklungshilfe aufwenden; bisher lag es (wie übrigens die meisten anderen Industriestaaten auch) weit unter dieser Marke.

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Wer meinte, daß es sich hier nur um schöne Worte handelt, der wurde dieser Tage eines Besseren belehrt: Musterschüler Androsch präsentierte einen Plan, wie Österreich seinen moralischen Verpflichtungen nachkommen und sich dabei auch noch selber nützen könnte. Denn Wohltun trägt eben Zinsen.

Die inflationstreibenden Dollarüberschüsse sind bekanntlich seit längerem die Hauptsorge der europäischen Notenbanken; in letzter Zeit wurde häufig der Vorschlag ventiliert, die Überschüsse mögen als niederverzinsliche langfristige Darlehen den USA gegeben werden und so wieder dorthin zurückfließen, wo sie hergekommen sind.

Hier hakt Dr. Androsch ein: warum nur an die USA und nicht einen Teil auch an die Entwicklungsländer? Damit träfe man zwei Fliegen auf einen Schlag: man wäre die lästigen 'Dollars los und hätte der Dritten Welt auch noch geholfen.

Österreich könne ein übriges tun und abgesehen von jenen Überschüssen, die im Rahmen eines internationalen Konsolidierungsabkommens abfließen, auch noch autonom seine Devisenüberschüsse in die Taschen der Entwicklungsländer lenken. Das solle so vor sich gehen, daß die Bundesregierung Devisen bei der Nationalbank kauft und diesen Betrag hauptsächlich der Weltbank, daneben auch der asiatischen und amerikanischen Entwicklungsbank, als Darlehen auf 15 Jahre zu 4 Prozent zur Verfügung stellt.

Die erste Frage ist, inwieweit die Weltbank an dem österreichischen Offert überhaupt interessiert sein wird. Zunehmend werden nämlich von den Entwicklungsstaaten die „weichen“ Kredite gefordert, wie sie die Weltbank nicht direkt, sondern über ihre Tochtergesellschaften, die International Development Association (IDA) vergibt: 50 Jahre Laufzeit, davon 10 Jahre tilgungsfrei bei nur 3A Prozent „Bearbeitungsgebühren“, also praktisch zinsfrei.

Die direkten Weltbankkredite mit 12 bis 30 Jahren Laufzeit bei 3 bis 10 Freijahren und einer Verzinsung von 7,25 Prozent erfreuen sich heute keiner großen Beliebtheit mehr. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Verschuldung der Entwicklungsstaaten Ende 1970 bereits 66,7 Mrd. Dollar ausmachte, wobei die Hälfte dieses Betrages innerhalb von fünf Jahren, ein weiteres Drittel in der Zeit von 1976 bis 1980 fällig wird und der Zinsendienst für die alten Schulden neue Kredite aufzufressen droht. Unter dieen Aspekten werden Österreichs Konditionen nicht sonderlich attraktiv sein.

Wie aber sieht die zweite Seite des Projektes, der Beitrag zur Währungsstabilität aus? Es ist richtig, daß Devisenüberhänge die sogenannte „unfreiwillige Geldschöpfung“ bewirken, da die Nationalbank verpflichtet ist, die meisten Devisen anzukaufen und den Gegenwert in Schillingen auszubezahlen. In dem Maß, in dem der Staat Devisen ankauft, könnte nun diese unfreiwillige Geldschöpfung rückgängig gemacht werden.

Aber: woher nimmt der Staat das Geld dazu? Erhöht er einfach die Budgetausgaben und vergrößert er das ohnehin schon vorhandene Rekorddefizit noch weiter? Damit wäre der anti-inflationäre Effekt schon vertan. Oder legt er eine Inlandsanleihe auf? Dies wirkte nur infla-tionsdämpfend, wenn die Entwicklungshilfeanleihe statt einer gleichhohen inlandswirksamen Anleihe aufgelegt wird und nicht zusätzlich dazu und wenn die potentiellen Anleihenwerber daran gehindert werden, ihren im Inland nicht befriedigten Finanzbedarf im Ausland zu decken, etwa auf dem Eurobond-Markt, der gegenwärtig sehr günstige Konditionen bietet.

Und zu welchen Konditionen begibt man die Entwicklungshilfeanleihe im Inland? Bei 4prozentiger Verzinsung wird sie auf wenig Interesse stoßen, am wenigsten bei jenen „Idealisten“, die am lautesten nach Entwicklungshilfe schreien, aber dann, wenn es zum Zahlen kommt, zu verstummen pflegen. Um die Verzinsung auf 6 bis 7 Prozent aufzufetten, müßte wieder ins Budgetsäckel gegriffen und der jetzt schon große staatliche Schuldendienst noch vergrößert werden.

Und was geschieht mit den Devisen, die die Entwicklungsländer erhalten? Sie werden zum Ankauf von Industriegütern verwendet und fließen auf schnellstem Weg wieder in die entwickelten Staaten zurück.

Damit sei nichts prinzipiell gegen die Entwicklungshilfe aus Devisenüberschüssen gesagt, sondern nur etwas gegen den Aberglauben, daß sie automatisch antiinflationistisch wirken würde. Sie kann die unangenehmen, aber notwendigen Kon-junkturdämpungsmaßnahmen nur ergänzen, aber bestimmt nicht ersetzen. Das Geschenk, das einen selbst nichts kostet, sondern noch etwas einbringt, gibt es nicht. Wer glaubt, dies durch allerlei Finanzkunststücke zusammenzubringen, sieht sich sehr bald enttäuscht. Auch Amerika verdankt seine heutige Dollarmisere nur den allzu cleveren Finanzgenies, die Magie zur nationalökonomischen Disziplin machen wollten.

Wie hart es aber sein wird, Mittel für die Entwicklungshilfe den inländischen Kredithungrigen wegzunehmen, zeigt ein anderes Beispiel: schon bisher besitzt Österreich ein Reservoir, das seinerzeit für die Entwicklungshilfe bestimmt war: die rückfließenden ERP-Kredite, die nach dem Willen der Amerikaner nicht wieder in die österreichische Wirtschaft zurückgepumpt werden sollten, sondern in die der Dritten Welt; heute sind alle guten Vorsätze längst vergessen, alle Rückzahlungen fließen sofort ins Inland zurück und den Interessengruppen sind diese verbilligten Kredite noch viel zuwenig.

Außerdem ist Österreich mit seinen Entschlüssen immer ein wenig hinten nach. Jetzt, wo es seinen hochherzigen Entschluß zur

Entwicklungshilfe faßt, ist diese in ihrer bisherigen Form längst problematisch geworden. Bücher wie die von Tibor Mende und Helmut Schoeck über die Entwicklungshilfe kommen, obwohl von diametral konträren Positionen aus geschrieben, zum gleichen Fazit: so wie bisher kann es nicht weitergehen. In dieser Situation gewinnt das forsche Anlegen der Spendierhosen durch Österreich sehr leicht den Charakter einer Alibihandlung zur Beruhigung des eigenen Gewissens.

Größere Gebefreudigkeit allein genügt nicht. Worauf es ankommt, ist — in Kooperation mit den anderen Industriestaaten und den Entwicklungsländern selbst — eine größere Effizienz der zur Verfügung gestellten Mittel zu garantieren.

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