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Die „zweite Aufklärung6
Was soll politische Bildung? Aufmüpfige Bürger heranziehen oder systemkonformes Verhalten einüben? Die Herausforderungen des politischen Umbruchs sind gewaltig.
Was soll politische Bildung? Aufmüpfige Bürger heranziehen oder systemkonformes Verhalten einüben? Die Herausforderungen des politischen Umbruchs sind gewaltig.
Politische Bildung: das war ein bisweilen heikles Unterfangen, das angesiedelt wurde zwischen staatsbürgerlichem Orientierungswissen (einer Art „zweiter Aufklärung”) und kritischer Aufmüpfigkeit (geschmackig als „handlungsorientierte Kompetenzaneignung” umschrieben).
Politische Bildung: das war ein Abrechnen mit der (bewältigten?) Geschichte und ein forsches Debattieren um Zukunftsentwürfe.
Politische Bildung: das war ein Angstthema für die einen und ein Hoffnungsschimmer für anderen.
Vor allem war politische Bildung ein babylonisches Sprachengewirr — eine Nationalratsdebatte auf wissenschaftstheoretisch.
Oder war (und ist?) politische Büdung der Versuch, unserer gesellschaftlichen Komplexität mit Fantasie und mit „Handlungswissen” auf die Wurzeln zu fühlen?
Was ist politische Bildung heute? Ein Anhängsel sozialwissenschaftlicher Studien? Ein Grundsatzerlaß —neben zehn anderen! -für die Schulen?
Eine Antwort vorneweg: Eine optimistische Erwartungshaltung hinsichtlich politischer Bildung darf angesichts zaghafter Erfolgsmeldungen nicht ganz weggeleugnet werden.
Welcher gesellschaftliche Hintergrund ist nun der Nährboden für jene politische Büdung, die stets als kontroversiell empfunden wurde, sobald die staatsbürgerkundlichen Territorien verlassen wurden?
Vielleicht die Jugend, von der nicht weniger als 58 Prozent — so eine eben fertiggestellte Erkundungsumfrage — die Zukunft eher pessimistisch betrachten, 76 Prozent davon überzeugt sind, daß
Technik und Chemie die Umwelt zerstören und deshalb (oder trotzdem) 50 bis 80 Prozent den neuen politischen Gruppen positiv gegenüberstehen?
Oder sind es die „Ewiggestrigen”, die mit einem Bein im braunen Sumpf der Vergangenheit herumstochern und das andere Bein für einen liberalen Eiertanz geschmeidig erhalten? (Hat doch auch Famüienministerin Gertru-de Fröhlich-Sandner eine fürsorgliche Aufforderung zur politischen Büdung aus dem aktuellen Anlaß der Affäre Reder-Frischenschlager-Haider ausgesprochen).
Ob das und die vielen anderen guten Ratschläge und wohlmeinenden Angebote im Sinne der politischen Bildung jemals „greifen” werden? Wahrscheinlich nur dann, wenn die Theoriegeplänkel — sie füllen bereits Bibliotheken — auf den Boden politischer Auseinandersetzungen zurückzukehren vermögen.
Ein wiederentdecktes Feld der politischen Betätigung ist — so überraschend dies auch klingt — die Institution des Parlaments samt seinen heftig kritisierten Spielregeln.
So machte sich zum Beispiel der ehemalige Jungsozialist Josef Cap unter dem Gespött seiner „Vorzugsstimmenwähler” zum Abstimmungsgehüfen für Friedhelm Frischenschlager — weü's die Fraktionsdisziplin nicht anders zuließ.
Oder anderswo, in der Bundesrepublik Deutschland zum Beispiel: dort retten sich grüne Abgeordnete durch Fraktionsaustritte (Gert Bastian), durch beharrliche Eigenwerbung (Petra Kelly) oder durch Geschäftsordnungstricks (ein weiterer BRD-Grüner, Otto Schily — er darf den Flick-Untersuchungsausschuß zu Ende bringen) über die Rotationsformel hinweg.
Oder: es mehren sich die parlamentarischen Einsteiger (etwa im
Vorarlberger Landtag) oder gar koalitionswülige (BRD-)Grün-parteien.
Das parlamentarische System hamstert Lorbeeren.
Zudem scheint das parlamentarische System flexibel genug zu sein, um den repräsentativen Kräften auch eine Anzahl direktdemokratischer Prozesse an die Seite zu stellen (Bürgerbewegun-gen, Basisinitiativen, Volksbegehren).
Für viele solcher neuer Entwicklungen ist politische Bildung eine direkte Antwort, ein unmittelbares Erlebnis, eine „fleischgewordene” Floskel aus dem parti-zipativen Jargon. Zumindest müßte auf all das - und auf vieles mehr - die politische Bildung eine Antwort bieten, eine, mehrere Deutungen und reale Alternativen und fantasievolle Umwege liefern können.
Und in einem derart in Bewegung geratenen politischen Meer der Politik hält sich die politische
Büdung in Osterreich: mehr als ein bloßer Tropfen auf den heißen Stein, zumindest was die Ambitionen betrifft.
Meinungen, Antworten und neue Forderungen für die beschriebenen Problemfelder gab es kürzlich bei der in Wien abgehaltenen „2. Enquete zur politischen Büdung”, veranstaltet vom österreichischen Institut für politische Büdung Mattersburg im Burgenland.
Leidiges Problem — über alle gesellschaftspolitischen Unterschiede hinweg — bleibt die triste Finanzlage, vor allem in den Einrichtungen der freien Erwachse-nenbüdung. Tröstlich wirkte nur die Absichtserklärung des Unterrichtsministers, in Zukunft die „Ein-Prozent-Hürde” anpeüen zu woUen (ein Prozent des Unterrichtsbudgets für die Erwachse-nenbüdung).
Oer Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Osterreichischen Institut für politische Bildung Mattersburg und Lektor an der Universität Graz.
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