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Die zweite Salzburger Inszenierung

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Kurz vor seinem Tod sprach Hoj-mannsthal einmal ganz allgemein von den „nächstfolgenden feindlichen Dezennien“. Diese bekam, nach einem schwierigen, aber glanzvollen Start „Die Frau ohne Schatten“ besonders zu spüren. Unter der Leitung von Franz Schalk sangen unter anderen die Jeritza und Öestvig und Roller hatte eine seiner gelungensten Ausstattungen geschaffen. — Dann spielte man die „Frau ohne Schatten“ da und dort. Aber Salzburg ließ sich Zeit. Erst 1932 und 1933 wurde das Opus magnum der Gründer der Festspiele hier gegeben: in der Inszenierung Wallersteins, mit den Bühnenbildern und Kostümen Alfred Rollers und unter der Leitung von Clemens Krauss.Nun hat man „Die Frau ohne Schatten“ auf ausdrücklichen Wunsch von Dr. Karl Böhm und anläßlich seines 80. Geburtstages (und wohl auch als Beitrag zum Hofmannsthal-Jahr) neueinstudiert und gegen Ende der dritten Festspielwoche aufs Programm der heurigen Festspiele gesetzt, in deren Rahmen sie noch viermal gespielt wird.

Der musikalische Teil war prächtig gelungen, und wer am vergangenen Freitag von 19 bis 23.15 Uhr die Direktübertragung in ö 1 gehört hat, konnte sich davon überzeugen. Das danken wir in erster Linie Doktor Karl Böhm und den prächtig musizierenden Wiener Philharmonikern, aber auch den Hauptrollenträgern und den Ausführenden der vielerlei „Stimmen“ sowie dem Staatsopernchor. James King und Leonie Rysanek (Kaiser und Kaiserin), Walter Berry und Christa Ludwig (Barak und Färbersfrau), Ruth Hesse als Amme, Martin Engel als Geisterbote — da blieb kaum ein Wunsch offen, und wir können auf eine „Reihung“ all dieser hervorragenden stimmlichen und darstellerischen Leistungen verzichten. Aber jetzt erst verstehen wir Christa Ludwigs sensationellen Triumph in Paris. An ihrer Seite wirkte Walter Berry ein wenig „zurückgenommen“, und zwar vom Regisseur Günther Rennert, der zugleich in sehr dankenswerter Weise das Barak-Klischee vom gutmütigen Tölpel ebenso revidierte, wie das von der Färberin als keifender, unzufriedener Frau. Im Vergleich mit den in der Geistessphäre Agierenden sind, in Rennerts Deutung, beide weder dumpf noch einfältig, brutal und triebhaft, sondern eben — menschlich. Es gibt da, in der Färberstube, eine lange „stumme“, nur von Musik begleitete Pantomime, die zum Ergreifendsten gehört, das wir in den letzten Jahren auf einer Opernbühne gesehen haben.

Doch war, bei aller Wertschätzung der interessanten Partitur und der Leistungen der Solisten, unsere Aufmerksamkeit und unsere Erwartung auf die szenische Realisierung gerichtet, die, das sei gleich vorweggenommen, einen ambivalenten Gesamteindruck hinterließ. Ich muß aber fairerweise eine gewisse Voreingenommenheit eingestehen, weil ich mir seit vielen Jahren als Ausstatter dieses Werkes entweder Marc Chagall oder Oskar Kokoschka gewünscht habe. Die hätten dieser märchenbunten und phantastischen Welt nicht nur neue, originelle Formen, sondern auch leuchtende Farben gegeben. (Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie Kokoschka in der Werkstatt des Färbers Barak ganze Kübel buntester Farben gegen die Wände geschleudert hätte und wie Chagall die Darstellung der „oberen Sphäre“ gelungen wäre.) Nun also: ein Maler ist Schneider-Siemssen nicht, man sollte also nichts Unmögliches von ihm erwarten. Übrigens begann es sehr verheißungsvoll. Bei der ersten Szene auf der Terrasse „über den kaiserlichen Gärten“ sagte man sich: Gut, daß wir diese Breitwandbühne haben, denn es konnte nicht nur die hochliegende Terrasse, sondern auch eine weite Landschaft gezeigt werden, mit weitläufigen Gebirgsketten: ein wunderbarer Anblick. Auch Baraks zweigeteilte Behausung war schön und glaubwürdig. Aber je mehr wir uns in die Geistersphäre geführt sahen, um so verschwommener, wolkiger, abstrakter wurden Schneider-Siemssens Bilder, mit einer Schlußapotheose, die vom Milieu, in dem die „Frau ohne Schatten“ spielt, nämlich dem orientalischen, überhaupt nichts mehr spüren ließ.

Wenn da zum Beispiel im ersten Akt (Seite 35 des Textbuches) eine ganz präzise Regieanmerkung steht (,An Stelle des Färbergemaches steht ein herrlicher Pavillon da, in dessen Inneres wir blicken: es ist das Wohngemach einer Fürstin. Der Boden scheint mit einem Teppich in den schönsten Farben bedeckt, doch sind es Sklavinnen in bunten Gewändern. Sie heben sich nun von der Erde, lauschen kniend nach hinten...“), sö ist es völlig unbegreiflich, daß sich Schneiderr Siemssen nicht genau an diese optisch so überaus reizvoll erfundene Vision hält, sondern etwas ganz anderes macht. Roller tat es seinerzeit, und noch nach vielen Jahren erinnern wir uns an diesen prachtvollen, faszinierenden Effekt. Oder, als Beispiel, die Anweisung zur letzten Verwandlung: „Eine schöne Landschaft, steil aufsteigend, hebt sich heraus. Inimitten ein goldener Wasserfall, durch eine Kluft abstürzend ... Im Augenblick fällt an Stelle des Schattens eine goldene Brücke quer über den Abgrund.“ Und was sahen wir? tristes, graublaues Nifelheim mit einer riesigen Mitternachtssonne. Woher die kommt, wissen wir. Aber hier ist sie fehl am Platz.

Das festlich gestimmte Publikum hat die Leistungen aller Künstler mit langanhaltendem Applaus bedankt.

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