6906662-1980_46_09.jpg
Digital In Arbeit

Diego t

Werbung
Werbung
Werbung

Die kleine, schmucklose Parte, die mir aus einem Berg sinnloser Druckschriften entgegenfällt, trägt kein Kreuz. Es fällt mir erst später auf, als ich sie in Ruhe lesen kann. Dr. phil., Dr. theol., Professor Diego Hanns Goetz lebt nicht mehr. Sofort ist das Schuldbewußtsein da, Diego, über das wir so oft gesprochen haben. Diesmal fühle ich mich ganz einfach schuldig, dich nicht mehr besucht zu haben; unsere letzte Begegnung vor der Peterskirche liegt lange zurück; ich erinnere mich nur an deine verschlossene Heiterkeit und daran, daß du nicht gesund ausgesehen hast.

Es bedarf keines Kreuzes auf deiner Todesnachricht. Ich werde dich selbst immer so in Erinnerung behalten, wie ich dich zum ersten Mal sah, auf der Kanzel der Wiener Dominikanerkirche stehend, mit weit ausgebreiteten Armen, schmerzhafte Schönheit und einen großen Anspruch ausstrahlend, ein Kreuz in Schwarzweiß - wie gekreuzigt, dachte ich noch -, ein Diener des Wortes Gottes und ein Meister des Wortes. Praedicator Generalis.

Die große, fast brandmarkende Verwandtschaft unser beider Berufe ist mir erst viel später bewußt geworden, aber da waren wir schon lange Freunde, durch viele Gespräche vertraut mit der Art des anderen, Umgang mit dem Wort zu pflegen, dem Werkzeug unser beider Botschaft. Denn wir verstanden uns wohl beide als mit einer Botschaft Belastete, die für jeden von uns die zentrale Herausforderung seines Daseins bedeutete und viele unserer Gespräche kreisten um die Verwahrlosung der Freude darüber, mit einer Herausforderung leben zu dürfen. Aber - wie gesagt - derlei Themen berührten wir erst später.

Zu Beginn dieser Freundschaft -Diego, es ist gut zu wissen, daß dein Tod an ihr nichts ändert - warst du für mich nur Faszination, Rattenfänger mit der Flöte der Rhetorik, Virtuose des Wortes.

Ich habe sicher nicht einmal die Hälfte von dem verstanden, was du an Sonntagvormittagen von der Kanzel gesagt hast. Ich bin der Schönheit deiner Worte und der Ästhetik deiner Sprache erlegen, saß zu deinen Füßen und habe mich - wie man das so nennt -erbauen lassen.

Erst später, als du im Reinhardt-Seminar zu uns Lehrlingen der Schauspielkunst - als einer ihrer großen Kenner - über „Freiheit von”, „Freiheit in” und „Freiheit für” gesprochen hast, habe ich begonnen, dir nicht mehr nur nachzuhören, sondern dir nachzudenken, mit dir zu denken und habe aufgehört, mich deswegen zu genieren, daß ich dich vor Jahren nur als schön empfunden hatte, schön im umfassendsten Sinne allerdings.

Noch später habe ich bei dir nachlesen können: „Durch die Schönheit wird Gottes Sehnsucht nach dem Menschen spürbar, umgibt uns Gottes unverständlicher Trieb nach dem Menschen, umwirbt uns Gottes Hoffnung auf unser Herz. Das Schöne ist wie eine freie, ungenutzte Wiese, wer sie betritt, ist wie ausgetauscht und aufgetaucht aus den mühseligen Welttagen. Denn die Schönheit ist der Klang der Liebe. Wer die Schönheit nicht mehr wahrnimmt, nimmt Gott nicht mehr so wahr, wie Gott sich anbietet.”

So warst du also unter anderem gemeint, Diego, so war dein allererster Eindruck auf mich also gedacht von dem, der uns erschaffen hat. Das Interesse Gottes an mir hast du mir gezeigt und ein erstes Mittel dazu war das, was ich deine Schönheit nenne. Sie ist nicht vererbbar. Aber in der Sehnsucht nach ihr werden wir uns immer begegnen. Sie ist Sehnsucht nach Gott. Die vererbst du.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung