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Dienst an Feinden

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Erfahrungsaustausch von Friedensaktivisten aus 16 Ländern in Slowenien: Der Alternativdienst soll nach ihren Wünschen zivil bleiben und blockübergreifend sein.

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Erfahrungsaustausch von Friedensaktivisten aus 16 Ländern in Slowenien: Der Alternativdienst soll nach ihren Wünschen zivil bleiben und blockübergreifend sein.

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Ausgerechnet in der Nordwestecke von Slowenien, am See von Bohinj — in dem sich die Berge des Triglav-Massivs spiegeln —, das jährliche internationale Treffen von Wehrdienstverweigerer-Initiativen zu organisieren, konnte auch nur den Slowenen mit einem Sinn für Widersprüche einfallen.

Zwar war bei den mehr als 30 Aktivisten aus 14 europäischen Ländern, aus den USA und Israel nicht gerade Katastrophenstimmung bemerkbar, doch der Ernst der Lage in einigen Ländern vertrieb schnell die touristengerechte „Heile-Welt-Stimmung“ des komfortablen Jugendgästehauses.

Gerade auch die Gastgeber, die Friedensgruppe aus Ljubljana (Laibach), mußten eingestehen, daß im vergangenen Jahr relativ wenige Fortschritte hin zur Anerkennung der Wehrdienstverweigerung und einem vom Militär unabhängigen Friedensdienst zu registrieren sind.

Die starke Position des Militärs in Jugoslawien, das trotz Wirtschaftskrise noch immer bevorzugt mit Geld versorgt wird, hat bisher eine Regelung verhindert. Allerdings beschäftigt sich seit dem skandalösen Prozeß gegen vier Journalisten aus Laibach, die angeblich Militärgeheimnisse verraten haben (FURCHE 23/1988), erstmals eine breite Öffentlichkeit mit der dubiosen Rolle des Militärs in der jugoslawischen Politik. Magerer Nebeneffekt für inhaftierte Militärdienstverweigerer: Seit neuestem werden sie nur noch zu zweieinhalb Jahren verurteilt, immerhin die Hälfte des bisherigen Strafausmaßes.

Nicht viel besser gehts den Griechen. Trotz eines friedensbewegten sozialistischen Ministerpräsidenten hat Griechenland seinen jungen Männern als Alternative zum Militär nur Emigration oder Gefängnis zu bieten. Jahrelange Appelle und Proteste halfen nichts. Erst als sich einer von ihnen, Michail Maragakis, zu einem siebzigtägigen Hungerstreik entschloß und es in der Folge weltweite Proteste hagelte, mußte auch Andreas Papandreou nachgeben.

Er stellte für das kommende Jahr ein neues Gesetz in Aussicht. Dem Versprechen, den Zivildienst von eineinhalbfacher Dauer des Militärdienstes in kommunalen Einrichtungen ableisten zu können, trauen die angehenden Zivildiener nicht so recht. Allzu leicht könnte unter dem Druck der Militärs ein paramilitärischer Hilfsdienst daraus werden.

Während in den anderen Balkanländern — Albanien, Bulgarien, Rumänien — Schweigen über diese Fragen herrscht, sollen in Ungarn endlich die Forderungen der — meist religiös orientierten — Verweigerer ernst genommen werden.

Ob es nach deren Willen ein gleich langer Alternativdienst wird, der außerhalb von militärischen Strukturen in friedenfördernden Projekten abgeleistet werden kann, bleibt abzuwarten.

„Aufbruch ' in Ungarn durch Machtwechsel in Staat und Kirche“

Ungewöhnlich ist jedenfalls die Order an alle ungarischen Botschaften, Informationen über die Regelungen in den jeweiligen Ländern als Entscheidungshilfe einzuholen.

Ein Vertreter des ungarischen „Ost-West-Netzwerkes“ dazu: „Jeder positive Ansatz in einem der Länder hilft auch uns. Und jede Verschlechterung kommt den Militärs als Argumentationshilfe gerade recht.“ Im übrigen ist er davon überzeugt, daß ein solcher Aufbruch erst durch den Machtwechsel an der Spitze von Staat und Kirche möglich geworden ist.

Wie sehr die Friedensinitiativen in der Tschechoslowakei voneinander isoliert sind, zeigte sich, als zwei junge Charta-77-Aktivi-sten aus Mähren mit Verwunderung einen Aufruf des „Unabhängigen Friedensbündnisses“ für eine „Entmilitarisierung der Gesellschaft“ lasen, den vor allem junge Aktivisten aus Prag verfaßt hatten. Für sie ist eine blocküberwindende Friedenspolitik untrennbar auch mit dem Recht auf Wehrdienstverweigerung und auf einen alternativen Friedensdienst verknüpft.

Derzeit kann man in der CSSR dem Militär oder den üblichen drei Jahren Gefängnis bei Verweigerung nur mit einem psychiatrischen Attest oder durch Verpflichtung zu zehn Jahren schwerster Bergwerksarbeit entkommen.

Das Dilemma der DDR-Behörden zeigte ein emigrierter Ostberliner Friedensaktivist auf. Einerseits wird starr am Bausoldatendienst „mit dem silbernen Spaten auf der Schulterklappe“ festgehalten und der von kirchennahen Initiativen vorgeschlagene „Soziale Friedensdienst“ abgelehnt. Andererseits werden jene nicht einberufen, die offensichtlich entschlossen sind, als politische Märtyrer ins Gefängnis zu gehen.

In Polen hat die Regierung am 21. Juni ein akzeptables Gesetz vorgelegt, das drei Jahre Sozialdienst anstelle des Wehrdienstes ermöglicht. Damit hat sie den Forderungen der Gruppe „Wol-nosc i Pokoj“ (Freiheit und Frieden, FURCHE 20/1987) im wesentlichen entsprochen und fast alle inhaftierten Aktivisten entlassen.

Ob die Sowjetunion das Dekret Lenins aus dem Jahre 1919 endlich in Kraft setzt, das einen Zivildienst vorsieht, bleibt abzuwarten. Vielleicht hilft dabei der Afghanistan-Schock nach. Als erste Stufe soll den religiös Orientierten ein Ausweg eröffnet werden.

Daß die Militarisierung des Westens eher wächst als zurückgeht, bekommen als erste jene zu spüren, die sich weigern, ihre Gewissensentscheidung von bürokratischen Prüfungsprozessen abhängig zu machen, und die nach diesem juristischen Hürdenlauf feststellen müssen, daß ihr Dienst gar nicht so zivil, sondern eher paramilitärisch angelegt ist.

Diese, von manchen Militärs und Politikern forcierte Tendenz ist nicht nur in Österreich im Zusammenhang mit der Ende September zu beschließenden Gesetzesnovelle spürbar. Auch in der Bundesrepublik Deutschland und in einem angekündigten Schweizer Gesetz werden dem unabhängigen Friedensdienst wenig bis gar keine Chancen gegeben und entsprechende Einsatzstellen kaltgestellt.

,.Zivildiener stellen fest, daß ihr Diensteher paramilitärisch angelegt ist“

So sind es zunehmend nicht nur radikale Pazifisten, sondern auch kompromißbereite Aktivisten, die offen die Frage stellen, ob ein Friedensdienst an der Gemeinschaft von den staatlichen Autoritäten überhaupt gewünscht wird.

Beim nächstjährigen Treffen im Baskenland werden sich diese und andere Fragen noch schärfer stellen. Einen aktiven blocküberwindenden Friedensdienst — und nicht nur eine „Reparaturbrigade“ — im und für das „Haus Europa“ können sich Zivildiener beiderseits des Eisernen Vorhanges gut vorstellen. Der Dienst im ehemals „feindlichen Ausland“ könnte Spannungen abbauen helfen und zur Sicherheit in Europa beitragen. Ein Vorschlag übrigens, der auch in einer Pax-Chri-sti-Resolution an das Wiener KSZE-Folgetreffen auftaucht.

Der Autor ist österreichischer Friedensaktivist und Leiter des Bad Ischler „Begegnungszentrums für Gewaltlosigkeit“.

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