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Dienst nach Vorschrift

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Der Streik der bundesdeutscher. Fluglotsen, seit 1968 Begleiterscheinung fast jedes Sommers, hat in diesem Jahr eine Krise in der Bundesrepublik ausgelöst, wie sie Politiker und Urlauber nicht härter hätte treffen können. Zwar schwelte der Konflikt zwischen den Flutlotsen, die eine Verbesserung ihrer Bezahlung, ihrer Arbeitsbedingungen wie auch ihres derzeit beamteten Anstellungsverhältnisses erreichen wollen, schon seit Jahren. Seit dem Sommer des vergangenen Jahres weiß man auch, daß der Streit in Form des Bummelstreiks sehr, unangenehme Folgen haben könnte. Aber die Bundesregierung, offensichtlich leichtsinnig geworden, weil die Fluglotsen 1972 das Schlimmste, nämlich eine Lahmlegung des Flugverkehrs zu den Olympischen Spielen, nicht eintreten ließen, nahm auch in diesem Jahr die Aktion der Flugleiter auf die leichte Schulter.

Damit aber schlitterte Bonn in eine Sommerkrise, die mit jedem neuen Tag des Bummelstreiks ärger wurde. Damit geriet ferner der gesamte Ferntourismus der Bundesrepublik ins Wanken. Der Ferienbeginn in einem Bundesland bedeutete für mehrere Tage Flughäfen, daß sie Flüchtlingslagern glichen, weil die Passagiere der Chartermaschinen nach Mallorca, Rhodos oder Gran-Canaria stundenlange Verspätungen hatten.

Die Schuld für die teilweise verheerende Situation im Flugverkehr schieben sich die Streitpartner gegenseitig zu. Für die Betroffenen, die Flugpassagiere, ist allerdings der Schuldige klar: die Fluglotsen. „Terror vom Tower“, lautet das Schlagwort, das die Runde macht, wenn die Passagiere, unter ihnen oft kleine Kinder, stundenlang in der Hitze auf dem Vorfeld in den heißen Maschinen auf den Abflug warten müssen. Die deutsche Bundesregierung, deren Innenminister für die Beamtengehälter zuständig und deren Verkehrsminister oberster Dienstherr der Männer im Tower ist, hat formal das Recht und die Sympathie der Bevölkerung auf ihrer Seite.

Ihr ist aber, und das machte die Regierungskrise erst perfekt, über lange Zeit jede Handlungsfähigkeit abgegangen. Ihr offensichtliches Ziel war es, den Fluglotsen nicht nachzugeben. Sie unternahm freilich nichts, was dazu geeignet gewesen wäre, die Fluglotsen zu einer Änderung ihrer Haltung zu bewegen. Die Regierung verwies darauf, daß die von den Fluglotsen geforderten Gehaltserhöhungen das Schema der Beamtenbesoldung völlig sprengen würden. Eine Flut von ähnlichen Forderungen anderer Berufsgruppen sei dann zu erwarten. Auch würde eine Anhebung der Gehälter im öffentlichen Dienst jetzt den angelaufenen stabilitätspolitischen Maßnahmen völlig zuwiderlaufen.

Schließlich konnte die Bundesregierung darauf verweisen, daß das Verhalten der Fluglotsen einen eklatanten Rechtsbruch bedeutet, da es sich um einen getarnten Streik handelt, der aber Beamten verboten ist.-Mit massenhaften Krankmeldungen („Sick-in“) und Dienst nach Vorschrift („Go-slow“) wurde der Flugbetrieb lahmgelegt. Aber die Bundesregierung wagte es zunächst nicht, scharf gegen dieses ungesetzliche Verhalten vorzugehen.

Der Vorsitzende der Beamtengewerkschaft, Krause, machte auf die daraus entstehende Situation deutlich aufmerksam: Bin Staat, der öffentlich demonstriert, daß er Recht nicht mehr durchsetzen kann, gefährdet sich selbst. Erst die Drohung der großen Touristikunternehmen, sie würden für ihre in die Millionen D-Mark gehenden Verluste Schadenersatzforderungen stellen, ließen die Bundesregierung scharf vorgehen und mit Ultimaten drohen.

Die Fluglotsen fühlten sich, das selbstbewußte Auftreten des Vorsitzenden ihres Verbandes, Kassebohm, bewies es, aber trotz der Drohungen der Regierung und massiver. Proteste der Bevölkerung so im Recht, daß sie weiter Härte demonstrierten. Seit eine vom damaligen Verkehrsminister Georg Leber eingesetzte Kommission festgestellt hatte, daß die Fluglotsenforderungen berechtigt seien und Leber eine entsprechende Vorlage ins Kabinett einbrachte, dann aber, als der Innenminister widersprach, nichts geschah, fühlten sich die Lotsen nicht nur unterbezahlt, sondern auch noch geprellt, und fürchteten, auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet zu werden.

Daher wäre nichts so verfehlt wie die Hoffnung, mit der nun eingetretenen Entschärfung der Situation auf den deutschen Flughäfen ,und Luftstraßen das Problem vom Halse zu haben. Denn wenn Beamte auch nicht streiken dürfen — auch sie sind eine Berufsgruppe, und bisher hat sich noch jede Berufsgruppe das Recht genommen, Forderungen, die im Verhandlungswege auf taube Ohren stießen, mit Kampfmaßnahmen Nachdruck zu verleihen.

Es war falsch, die Fluglotsen in das Beamtenschema zu pressen, denn das Aufstiegsschema des Beamten, ausgerichtet auf ein mit 65 Jahren zu erreichendes Höchstgehalt, ist einfach einer Berufsgruppe, die infolge der harten an sie gestellten Anforderungen um ein Jahrzehnt früher in Pension gehen muß, nicht angemessen. Und es war noch falscher, diesen Beamten höhere Verwaltungsaufgaben (nach dem Ende der Tower-Tauglichkeit) zu verschließen. Man wird für sie eine Lösung nach Maß finden müssen — sperrt sich der deutsche Verkehrsminister dieser Aufgabe, wird es weitere Kampfmaßnahmen geben. Mit den Augen der Lotsen betrachtet: geben müssen.

In jedem Fall ist der aus dem Fluglotsenstreik erwachsene Schaden beachtlich. Der Streik hat dem Image der Regierung, die einen taten- und hilflosen Eindruck machte, geschadet, er hat die Flugpassagiere Nerven und Kraft gekostet und er brachte den Flugunternehmen, allen voran der bundeseigenen Lufthansa, Millionenverluste. Genützt hat er nur der DDR, deren Flughafen Schönefeld in Ost-Berlin als garantiert streikfreier Landeplatz unerwartete Attraktivität gewann.

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