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Diese wilden Fünfziger

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Zunächst glaubt der Besucher, in eine Baustelle geraten zu sein. Dann lassen Anschläge vom April 1945 den Irrtum erkennen.

Der erste Ausstellungsraum überspringt dann gleich zehn Jahre: Staatsvertrag, Höhepunkt der „Wilden Fünfziger”, denen die Schau auf der Schallaburg in Niederösterreich gewidmet ist. Daß auf einem ins Riesenhafte vergrößerten Foto vom Treffen zwischen Julius Raab und Nikita Chruschtschow der Kanzler und sein Außenminister Figl eher verschwömmen, der Vizekanzler Pittermann und sein Staatssekretär Kreisky dominierend und klar erscheinen — Zufall oder Absicht?

Am Anfang stand der Wunsch des niederösterreichischen Landeshauptmannes, auch heuer die Schallaburg zum Schauplatz einer Großausstellung zu machen — und das im Zeichen des Jubiläumsjahres. Dann aber sollte hier nicht die hohe Politik dominieren wie anderswo, sondern das Leben der Menschen, die den Wiederaufbau nach dem Krieg hinter sich gebracht hatten und nun dem „Wirtschaftswunder” entgegengingen, auf den Abzug der Besatzungsmächte warteten und mit einem seither längst wieder untergegangenen Elan darangingen, sich und ihren Kindern endlich ein besseres Leben zu gestalten.

Natürlich stand für Siegfried Ludwig die Aufbauleistung jener Jahre, speziell in Niederösterreich, im Vordergrund. Für den verantwortlichen Gestalter, den Zeitgeschichtler Gerhard Jag-schitz, stellte sich die Aufgabe, diesen Aspekt nicht zu vernachlässigen, ihn aber zu relativieren, weniger den Alten Anlaß zur Nostalgie, als den Jungen Anstoß zum Nachdenken zu geben.

War das überhaupt zu bewältigen, um samehr, wenn die Gestaltung überwiegend in der Hand von Menschen lag, die jene Jahre vielleicht noch als Kinder, aber kaum mehr agierend miterlebt hatten (und die Komplexe der Endsechzigerjahre nun hier abreagieren wollten)?

Für jene Menschen, die damals am Wiederaufbau beteiligt waren, bietet die Ausstellung mit Fotos und Plakaten, Modellen und Filmschlagern sicher manchen Anstoß zu süßer Erinnerung. Dazu genügt aber auch das eigene Fotoalbum.

Den Jungen zu zeigen, wie es wirklich war — was man immer unter „wirklich” verstehen will -dem genügt sie nicht. Nicht nur, weil die vorhandenen Exponate zu wenig ausführlich erklärt sind und es keine Führungen gibt.

Zu zeigen, wie damals eine Kaffeehaustheke, ein Selbstbedienungsladen, ein Kino ausgesehen haben, mag anregend sein - aber man muß schon sehr genau hinsehen, um zu erkennen, daß damals die teuerste Kinokarte 7,50 Schilling gekostet hat. Nirgends steht zum Vergleich, daß ein mittleres Angestellteneinkommen 1955 bei 2.500 Schilling lag, oder bis 1951 ein Inlandbrief 60 Groschen kostete.

Der Beginn der Motorisierungswelle ist mit etlichen Rollern markiert — der Käfer, der dem Straßenverkehr seinen Stempel aufdrückte, ist nur schemenhaft auf einem Plakat auszunehmen.

Ausschnitte längst untergegangener Zeitungen lassen die Frage unbeantwortet, wie sich die Medienszene darstellte - im Nebeneinander von Besatzungs- und Parteizeitungen, im Hochkom-men*unabhängiger Zeitungen, im Konkurrenzkampf zwischen (sowjetisch beeinflußter) RAVAG und (amerikanischer) Sendergruppe Rot-Weiß-Rot...

Besser als die Ausstellung konnten die Referate des Symposions zur Ausstellungseröffnung das Thema umreißen. Sie boten auch eine bessere Dokumentation als der Ausstellungskatalog, der mehr sein will und deswegen viel mehr zeigt, als in der Schallaburg selbst zu sehen ist. In diesem Katalog toben sich aber — neben vielen ernstzunehmenden Autoren - auch jene aus, die es heute noch nicht überwunden haben, daß Österreich damals keinen marxistischen Weg gegangen ist.

Was soll es, „Volksgemeinschaftsideologie und Wiederauf-bauharmonie” der Nachkriegsjahre als „nationalsozialistisch” zu denunzieren? Was soll die Frage: Wo ist das Proletariat? Was soll es, die „später kommunistisch geführte Streikbewegung” von 1950 zu beklagen, sie sei „als kommunistischer Putschversuch diffamiert” worden? War sie es nun oder nicht? Die Wahlergebnisse jener Jahre geben eine deutliche Antwort, „wo das Proletariat war”. Aber die Wahlergebnisse dieser Jahre, von 1945 bis 1959, die sind nirgends zu finden...

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