Alice Schwarzer: Alte weiße Frau

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Warum Alice Schwarzer mit dem Protest der Hochschüler(innen)schaft gegen ihre Einladung an die Angewandte eigentlich zufrieden sein könnte. Ein Gastkommentar von Theresia Heimerl.

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Warum Alice Schwarzer mit dem Protest der Hochschüler(innen)schaft gegen ihre Einladung an die Angewandte eigentlich zufrieden sein könnte. Ein Gastkommentar von Theresia Heimerl.

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„Wen die Götter lieben, der stirbt jung“, so ein antikes Sprichwort. Wer hingegen von den Göttern ungeliebt länger lebt, muss miterleben, wie seine Revolution gegen die ungeliebten alten Autoritäten im Sand, im Wohlstand oder in der Gleichgültigkeit verläuft. Und wem die Götter wirklich übelwollen, der wird selbst zu einer alten, ungeliebten Autorität, gegen die Junge revoltieren. Man kann das antike Sprichwort und die Folgen natürlich auch gendern: Damit sind wir bei Alice Schwarzer.

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„Outdated and unacceptable“ – ist es nicht genau das, was Alice Schwarzer damals, als sie jung und eine Ikone des Feminismus war, vielen Männern vorgeworfen hat? Ist die einstige Vorkämpferin des Feminismus zu ihrem eigenen Feindbild von damals geworden?

Alice Schwarzer hat erreicht, wofür sie und mit ihr große Teile der Frauenbewegung in den 1970er- und 1980er-Jahren gekämpft haben: gesellschaftliches Ansehen, Macht, Geld, und all das unabhängig von einem Mann. Auch der Weg dorthin war jener, den vor ihr vor allem Männer gegangen sind: Selbstmarketing, journalistisch gekonnte Erregung von Aufmerksamkeit, Härte gegen sich selbst und andere und, ja, ein gewisses Maß an Skrupellosigkeit. Die Hälfte der Welt bedeutet auch die Hälfte der dunklen Seite.

Hegemoniale Weiblichkeit

Alice Schwarzer ist die Personifikation dessen, wofür es in der Wissenschaft bislang nur einen männlichen Fachbegriff gibt: hegemoniale Weiblichkeit. Wenn nun die Hochschüler_innenschaft der Angewandten gegen Schwarzer als „alte weiße Frau“ protestiert, sollte die so Angefeindete eigentlich zufrieden sein: Dass es so etwas überhaupt gibt, ist wesentlich ihr Verdienst. Die überwiegende Mehrheit der jungen und mittelalten Frauen heute erachtet jene Standards weiblicher Existenz für selbstverständlich, für die Alice Schwarzer einst gekämpft hat: rechtliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit, körperliche und sexuelle Selbstbestimmung, gleiche Bildungsmöglichkeiten.

So manche junge Frau kann die „Kriegsgeschichten“ aus der alten Welt der alten Alice Schwarzer schlicht nicht mehr hören, zumal sie mit dem dogmatischen Predigtgestus etablierter RevolutionärInnen vorgetragen werden. Wenn Ronja von Rönne anno 2015 im zarten Alter von 23 Jahren in der Welt davon sprach, dass sie der Feminismus „anekle“, war das zwar pubertär-respektlos, aber verständlich: Trau keiner spaßbefreiten Alten über 50, schon gar nicht, wenn sie für dich als ehrgeizige junge Journalistin dein älteres Alter Ego sein könnte.

Die Welt der feministischen Revolutionärin gibt es nicht mehr. Sie ist einer schönen, neuen, bunten Welt gewichen.

So einfach erklärt sich der Protest der Hochschüler_innenschaft der Angewandten aber nicht. Da geht es um etwas anderes, unter der Oberfläche der sehr simplen Pro- und Kontras in den Echokammern des Internets gar nicht so einfach Fassbares. Hilfreich ist ein Blick auf den jeweiligen Kontext: Die Welt der Alice Schwarzer war die Welt des späten Nachkriegsdeutschlands, der 68er-Bewegung, des Kalten Krieges, der noch mächtigen kirchlichen Institutionen, kurz eine Welt der übersichtlichen Ordnungen mit klaren Feindbildern: die Nazi-Väter, die Sowjets, die konservativen Politiker, der Papst, sprich, die alten weißen Männer.

Die Revolution der Alice Schwarzer und ihrer Mitstreiterinnen hatte auch ein klares Feindbild: die Vorherrschaft dieser Männer und ihre Zugriffsrechte auf Frauen(-körper). Sie galt es zu Fall zu bringen. Diese Welt der feministischen Revolutionärin gibt es nicht mehr. Sie ist einer schönen, neuen, bunten, Welt gewichen. Die neue Buntheit bringt allerdings ein hohes Maß an Unübersichtlichkeit mit sich. Es gibt nicht mehr einfach Männer, die unterdrücken, und Frauen, die unterdrückt werden. Es gibt junge, alte, körperlich beeinträchtigte, sozial marginalisierte Männer/Frauen/Diverse, mit Migrationshintergrund und fluider Geschlechtsidentität. Das Zauberwort der Intersektionalität, also der Überschneidung verschiedener sozialer Marker, die zu Diskriminierung führen können, dient einerseits als Versuch, die komplexe Wirklichkeit einer globalisierten Welt zu erklären. Andererseits kann es auch verwendet werden, um die Widersprüche dieser komplexen Wirklichkeit zu verschleiern, indem als gemeinsames Narrativ die wechselseitige Anerkennung des Opferstatus fungiert. Die Frage der (Un-)Vereinbarkeit der ideologischen Positionen der einzelnen Sektionen von Diskriminierten (hier: religiöse Muslim_innen und Personen mit alternativer sexueller Orientierung) bleibt in stiller Übereinkunft ungestellt.

Intersektional diskriminiert

Es ist nicht zuletzt diese Verweigerung des konfrontativen Gesprächs, die vielen Kommentatoren jeden Geschlechts in der jüngsten Causa unheimlich ist. Ist die Realität draußen so schlimm, dass die Universität für alle intersektional Diskriminierten zum einzigen safe space geworden ist? Vielleicht. Vielleicht ist es auch das Denken aus der untergegangenen Welt der Alice Schwarzer und jener alten Professoren und Rektoren, die sie eingeladen haben, die Welt draußen besser und sicherer machen zu wollen. Vielleicht haben die jungen Menschen langfristig gesehen recht und wir werden nur mehr einige Inseln der Sicherheit in einem Meer der Barbarei halten können, in dem sich die verschiedenen Teilsektionen im Kampf um die reale und ideelle Macht die Köpfe einschlagen. Was aber die Protestierenden zumindest mittelfristig im Auge behalten sollten: Auch sie werden älter. Wer schon als Studierende/r zu dogmatischen Positionen und Verboten neigt, hat keine schlechten Chancen auf eine Karriere als spaßbefreite/r GroßinquisitorIn.

Alle, die sich nun allzu sehr sorgen, seien ein wenig beruhigt: Ideen und Ideologien haben immer kürzere Haltbarkeitsdaten. Der intersektionale „anti-discriminatory discourse“ ist der „outdated“ Feminismus von morgen. Es sei denn, die Gött_innen lieben die jungen Protes­tierer_innen so sehr, dass sie das nicht mehr erleben müssen.

Die Autorin lehrt Religionswissenschaft und ist Studiendekanin an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Graz.

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