Christlich-sozial? Blüm statt Blümel

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Christlich-soziale Politik nach dem Vorbild Norbert Blüms unterscheide sich signifikant von der aktuellen Philosophie der neuen ÖVP, meint Josef Christian Aigner. Ein Gastkommentar.

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Christlich-soziale Politik nach dem Vorbild Norbert Blüms unterscheide sich signifikant von der aktuellen Philosophie der neuen ÖVP, meint Josef Christian Aigner. Ein Gastkommentar.

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Der im April verstorbene Norbert Blüm, dem in der FURCHE auch ein Nachruf gewidmet war, hat ein an die Wurzel gehendes, im Wortsinn radikales Erbe hinterlassen, das auch die in Österreich immer wieder aufbrandende Diskussion um das Christlich-Soziale in der Politik tangiert. Dabei war er nicht „irgendein Revoluzzer“ in der CDU, sondern 16 Jahre Arbeits- und Sozialminister unter Kanzler Kohl, insgesamt 18 Jahre stellvertretender Parteivorsitzender und 2005 sogar Leopold-Kunschak-Preisträger der Schwesterpartei ÖVP.

Es scheint deshalb reizvoll, seine politischen Grundsätze der Praxis der „neuen“ ÖVP gegenüberzustellen. Der Bezug zu Gernot Blümel liegt deshalb nahe, weil er es war, der den Vorwurf der Aufgabe christlicher Grundwerte für die ÖVP zurückwies, indem er das Christlich-Soziale lediglich als eine „rational begründete“ Philosophie bezeichnete, die weltanschauliche Grundlagen liefere, aber mit Religion nichts zu tun hätte – weshalb kirchliche oder religiöse Kritiken auch weitgehend ignoriert werden.

Anders Norbert Blüm, der unter anderem auch Theologie studiert hatte: Orientiert am Gleichnis vom barmherzigen Samariter war Solidarität für ihn die „politische Form der Nächstenliebe“. Der Arbeitersohn und Werkzeugmacher-Lehrling kannte die Sorgen von Menschen jenseits des Bildungsbürgertums. Stets kämpfte er für die Schwächsten und engagierte sich mutig gegenüber den Mächtigen. Mit Helmut Kohl war er deshalb keineswegs immer einer Meinung, scheute aber keinen Zwist in der Sache. Auch das unterscheidet ihn von einigen türkisen Regierungsmitgliedern, die dem Kanzler oft bis ins „Wording“ zu folgen scheinen.

Nächsten- und Fernstenliebe

Ein krasser Widerspruch zu ÖVP-Auffassungen findet sich auch beim Migrationsthema: Während etwa Andreas Khol die Kurz’sche Migrationspolitik verteidigt, indem er zwischen Nächstenliebe (den „Unsrigen“ gegenüber) und einer nachrangigen „Fernstenliebe“ (Flüchtlingen gegenüber) unterschied, ist für Blüm so etwas undenkbar: „Wer in Not ist, der ist dein Nächster“, sei die „Quintessenz“ der biblischen Botschaft. So besuchte er noch mit 80 Jahren als Zeichen der Solidarität das griechische Lager Idomeni und übernachtete dort in einem Zelt­lager. Wer aus der Kurz-ÖVP würde so etwas tun?

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