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Das Gebet als Waffe

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Soll wieder das Strafrecht sprechen? Die Rosenkranz betenden Menschen vor den Abtreibungskliniken sollen klar sagen, was sie anstreben.

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Soll wieder das Strafrecht sprechen? Die Rosenkranz betenden Menschen vor den Abtreibungskliniken sollen klar sagen, was sie anstreben.

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Abtreibungsambulatorien und die davor demonstrierenden und betenden Lebensschützer haben mehr gemeinsam, als sie wahrhaben wollen. Sie wollen ein vielschichtiges Problem auf einfache Art lösen - die einen, indem sie so tun, als könnten sie etwas ungeschehen machen, was doch Spuren hinterläßt, und die anderen, indem sie glauben, mit der Schließung von Ambulatorien und mit der strafrechtlichen Verfolgung sei das Problem der Abtreibung aus der Welt geschafft.

Line ungeplante Schwangerschaft durchkreuzt die Lebensplanung der betroffenen Frauen zumeist existentiell. In einer Zeit, wo es zu den Maximen von Politik und Wirtschaft gehört, daß alles planbar und machbar ist, daß es einen „Lebensplan” zu geben hat, daß jeder und jede „Eigenvorsorge” für Krisenfälle zu treffen hat und jeder und jede für sich allein verantwortlich ist, wird der Einbruch des Lebendigen, nicht Geplanten, häufig als Bedrohung empfunden. Es ist für viele Frauen auch mit einem wirtschaftlichen und sozialen Absturz verbunden. Die soziale und wirtschaftliche Not gerade von Frauen in unserer reichen Gesellschaft nimmt rapide zu. Die leichtfertigen Frauen, die vor dem Frühstück schnell mal zur Abtreibung gehen, mag es geben, wie es vieles auf dieser Welt gibt, sie stehen aber ganz sicher nichtMiir die große Mehrzahl der Frauen, die sich plötzlich in einer ausweglosen Situation befinden. Es gibt nämlich einen gesellschaftlichen Konsens, der quer durch die politischen Lager geht, daß Abtreibung kein Mittel zur Geburtenregelung ist. Zu Zeiten des Volksbegehrens gegen die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten gab es diesen Konsens nicht. Die Gräben waren so tief, daß es zu keinen konstruktiven Gesprächen zwischen Frauen der verschiedenen weltanschaulichen Lager kommen konnte. Die Beurteilung des Schwangerschaftsabbruchs mag je nach Sensibilität und Spiritualität verschieden sein - daß Abtreibungen zu vermeiden sind, darüber sind sich alle einig. Die überwiegende Mehrzahl der Verantwortungsträgerinnen in unserem Land setzen auf Beratung, soziale Hilfestellung und gesicherte Rechtsansprüche für Frauen und Kinder. Daß gerade zu Zeiten der Sparpakete, die Frauen in oft ausweglose Situationen bringen, christliche Gruppierungen auftreten, die gesellschaftspolitische und soziale Rahmenbedingungen negieren und allein Frauen und medizinische Einrichtungen zu Sündenböcken stempeln, mag Zufall sein. Kein Zufall ist es aber, wenn in diesem Zusammenhang von einem neuen Auschwitz gesprochen wird, zeugt es doch von einem eingeengten Bewußtsein, das nicht gewillt ist, die Tragödien und das

Leid, das Menschen einander zufügen, •ernst zu nehmen. Die höchstens dreijährigen Straßenkinder, die im Binnsal von Säo Paulo vielleicht ein paar Jahre überleben, die leeren Augen von achtjährigen Mädchen, die ihren Körper ausbeuten lassen, damit ihre Familie zu essen hat, die Sechsjährigen in den Zündholzfabriken Indiens, all diese Bilder lassen Menschen mit Verantwortungsgefühl nicht ruhen, für eine bessere Welt zu kämpfen, in der Kinder leben können - geborene und ungeborene.

Die demonstrierenden und Rosenkranz betenden Menschen vor den Abtreibungskliniken sollen klar sagen, was sie anstreben. Soll wieder das Strafrecht sprechen? Schwangere Not wieder in die Illegalität gedrängt werden? Sollen Frauen wieder an Abtreibungen sterben, weil Kurpfuscher und Stricknadeln die Beratung ersetzen? Gerade aus der Erfahrung der Kraft des Gebetes trifft es mich zutiefst, wenn das Gebet als Waffeeingesetzt wird, mitleidlos und unreflek-tiert.

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