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Der Mord und die Verantwortung

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Die schwierige Interessenabwägung zwischen humanem Strafvollzug und dem Schutz der Bevölkerung, insbesondere auch des Aufsichts- und Betreuungspersonals in den Strafanstalten, ist eine eminent politische Angelegenheit.

Wer zwischen der Skylla einer zwingend lebenslangen Verwahrung für gefährliche Schwerverbrecher und der Karybdis risikoreicher, überwiegend ideologisch motivierter Resozialisierungsexperimente einen gangbaren Mittelweg sucht, sollte die beschränkte Prognosefähigkeit der Psychiatrie im Auge haben und überdies den Mehraufwand, der bei Liberalisierungsmaßnahmen erforderlich ist, ehrlich in Rechnung stellen. Selbst der erfahrenste Therapeut kann Rückfälle bei schweren psychischen Störungen - und auch.

der Häftlingskoller gehört dazu -nicht völlig ausschließen.

Das bedeutet, daß jeder unbeaufsichtigte Kontakt in der Anstalt, jeder unbegleitete Freigang, jede bedingte Entlassung stets ein Wagnis ist. Es stellt sich somit die Frage, ob die Gesellschaft, um auch dem zu lebenslanger Haft verurteilten Mörder eine kleine Chance zu geben, dieses Restrisiko zu übernehmen bereit ist - so wie sie Autobahnen trotz unschuldiger Verkehrsopfer akzeptiert.

Die Antwort des Politikers ist dem Urteil der Wähler unterworfen. Wo der verantwortungsvolle Umgang mit diesem Problem in der Bevölkerung keine Mehrheit findet, tut Aufklärung not.

Unaufrichtig ist jedoch die Methode jener Befürworter des humanen Strafvollzugs, die in Gesetzgebung oder Verwaltung Regeln fest-

legen, ohne zunächst für die entstehenden Folgekosten Sorge zu tragen - für verstärkte Resozialisierungsbemühungen, vermehrte Haftbesuche und Freigänge sowie für andere Vergünstigungen, bei gleichzeitig wachsendem Gewaltpotential.

Auch bei der ORF-Sonntagsdiskussion „Zur Sache” trat klar zu Tage: Die eifrigen Reformer im Parlament und Ministerium haben es unterlassen, die Kosten der von ihnen geforderten und durchgesetzten Maßnahmen zu eruieren und sicherzustellen, daß das Geld auch vorhanden ist.

So ließen sie die ungeliebte Justizwache bei der Bewältigung der zusätzlichen Aufgaben im Stich. Auch davon sollte man sprechen, wenn von der Mitverantwortung am Mord an der Therapeutin Veronika Kreuziger in der Strafvollzugsanstalt von Göllersdorf die Rede ist.

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