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Die fatale Hetze nach Anerkennung

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Viele Frauen sind Opfer eines Mißverständnisses: Je mehr sie leisten und sich aufopfern, desto „wertvoller" fühlen sie sich.

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Viele Frauen sind Opfer eines Mißverständnisses: Je mehr sie leisten und sich aufopfern, desto „wertvoller" fühlen sie sich.

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Fast alle Frauen müssen heutzutage mit einem mehr oder weniger starken Druck leben. Junge Frauen müssen um die „richtigen" Entscheidungen für ihre Karriere kämpfen, alleinstehende Frauen müssen sich einen neuen Lebensweg ausdenken, junge Mütter müssen mit ihrer Isolation fertig werden; ältere Frauen wiederum verspüren Druck und Angstgefühle, wenn sie versuchen, mit dem Alterwerden fertigzu-werden und sich ihren nicht realisierten Lebensplänen gegenüber sehen.

Nach wie vor fühlen sich Frauen auch noch immer für sämtliche gesellige, häusliche und die Kinder betreffende Anforderungen verantwortlich, während ihre Männer nach wie vor nur am Rande beteiligt sind.

Der praktische und emotionale Beistand für berufstätige Mütter ist nach wie vor ein ermüdender und harter Kampf. Ungleiche Bezahlung, Benachteiligung am Arbeitsplatz und das Fehlen vieler flankierender Maßnahmen sind immer noch Tatsache. Dies alles führt dazu, daß sich viele Frauen als absolut unentbehrlich empfinden. Immer wieder und an jedem Platz auf den sie gestellt sind, übernehmen sie willig Verantwortung, auch wenn ihr Belastungspotential bereits erschöpft ist.

Im guten und richtigen Sinn sind Frauen sicherlich unentbehrlich. In vielen Fällen passiert es jedoch, daß

Frauen sich „freiwillig" mehr Druck schaffen, um mehr Anerkennung und Bestätigung zu finden.

Frauen sind im Lauf der Geschichte dazu gebracht worden, sich selbst als Sorgende und Ernährerinnen zu sehen; die Selbstachtung von Frauen ist weitgehend auf die Fähigkeit gegründet, sich auf andere zu beziehen und für andere zu sorgen. Auch wenn sie relativ unabhängig sind, stellen sie die Bedürfnisse anderer Menschen weit über die eigenen.

Frauen bemühen sich ungemein, im Beruf Sicherheit und Weiterbildung zu finden, an ihren Beziehungen festzuhalten und ein ganz positives Image ihrer selbst zu schaffen, damit man an ihrer Unentbehrlichkeit letztlich gar nicht zweifeln kann.

In einer Gesellschaft aber, die den

Selbstwert nach der Produktivität beurteilt, ist es kein Wunder, daß viele Frauen einem Mißverständnis zum Opfer fallen: sie sind umso „wertvoller", je mehr sie leisten. Zu diesem Druck kommt noch, daß weibliche Selbstachtung heute meist darauf beruht, daß Leistungen in vielen verschiedenen Lebensbereichen erbracht werden müssen. Ob in der Privatsphäre, ob in den Beziehungen zu Ehemännern, Kindern, Eltern, Kollegen oder Freunden, das Leben wird stets so angegangen, als handle es sich um einen Auftrag mit einem guten Zeugnis als Belohnung.

Natürlich ist es in der heutigen Arbeitswelt schwierig darauf zu bauen, daß wir we^en unserefPersönlichkeit und nicht wegen unserer Produktivität akzeptiert und geschätzt werden. Das

gilt vor allem für Bereiche, in denen aggressive Wettbewerbssituationen der Maßstab für eine Beurteilung sind. Hier neigen Frauen in besonderem Maße dazu, schon bestehende Normen noch zu überbieten, sie wollen ihren „Wert" unbestreitbar beweisen und sich in ihren Positionen absolut sicher fühlen.

Dieser Maßstab wird dann auch auf andere Lebensbereiche übertragen. Frauen zwingen sich nicht selten dazu, körperlich in bester Form zu sein, schöne gepflegte Wohnungen zu haben und in der Liebe und im zwischenmenschlichen Umgang großes Talent zu zeigen. Anstatt die Grenzen

des Möglichen auszuloten, wird Perfektion gesucht und die Unentbehrlichkeit stets aufs neue unter Beweis gestellt.

Jeder weiß, daß Vollkommenheit eine Illusion und ein unerreichbares Ziel ist. Trotzdem gibt es das Bild von der perfekten Mutter, der unfehlbaren Freundin, der idealen Partnerin und unübertroffenen Arbeitskraft.

Daß viele Frauen an den überhöhten Anforderungen, die sie an sich selbst stellen, leiden, oft sogar krank oder depressiv werden, ist kein Geheimnis (siehe „Das Burn-out-Syn-drom", Furche 42/1995). Es liegt an den Frauen selbst, hier Veränderungen anzustreben und Wege des Kompromisses zu suchen.

Es ist sicher schön zu wissen, daß „frau" gebraucht wird. Das soll aber nicht auf Kosten von Gesundheit, Glück und seelischem Gleichgewicht geschehen. Frauen werden lernen müssen, Prioritäten zu setzen, zu delegieren, auszuwählen, was sie unbedingt selbst tun müssen und was nicht. Das heißt unter anderem, daß „frau" wieder lernen muß, lange genug innezuhalten, um die eigene Erschöpfung zu spüren und drohende Zeichen völliger Verausgabung zu bemerken. Und zwar lange, bevor es zu ernsten Schäden kommt. Frau muß wieder lernen, um Unterstützung zu bitten und die Kontrolle auch einmal aus der Hand zu geben. Hektisches Streben nach sichtbarer Leistung und perfekten Ergebnissen wirken auf lange Sicht gesehen in sehr vielen Fällen leider nur selbstzerstörerisch.

Der Schlüssel zu einem befriedigenden und ausgeglichenen Leben liegt letztlich im Wissen und in der Erfahrung, daß wir uns selbst genügen, und daß es an uns selbst liegt, unseren Wert in der Gesellschaft zu bestimmen.

Die Autorin ist

Publizistin in Wien

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