ÖVP - © Foto:  picturedesk.com / APA / Robert Jaeger

Die ÖVP hat noch eine Chance verdient

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Ist die in der FURCHE geäußerte heftige Kritik von Helmut Brandstätter an der Politik von Sebastian Kurz mehr als der Reflex eines Oppositionspolitikers, politisches Kleingeld herauszuschlagen? Eine Replik.

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Ist die in der FURCHE geäußerte heftige Kritik von Helmut Brandstätter an der Politik von Sebastian Kurz mehr als der Reflex eines Oppositionspolitikers, politisches Kleingeld herauszuschlagen? Eine Replik.

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Es ist nicht überraschend, dass sich die ÖVP in einer Art „Schockstarre“ befindet. Erstmals in ihrer Geschichte ist ein Parteiobmann und Bundeskanzler, der die letzten beiden Nationalratswahlen überzeugend gewinnen konnte, aufgrund von Korruptionsvorwürfen als Kanzler zurückgetreten. Der Rücktritt erfolgte nicht wegen seiner Politik, sondern wegen des Vorwurfes machtpolitisch motivierter Korruption. Die Ratlosigkeit in der ÖVP ist aber auch ein Ausdruck dessen, dass man nicht weiß, wie man vernünftig mit der Situation umgehen soll, dass der in den Chatnachrichten von Teilen der Führungsmannschaft der neuen „türkisen“ Partei gepflogene unerträgliche Stil so gar nicht zum eigenen politischen Anspruch passt.

Ich habe mir angesichts der aktuellen Situation, in der zumindest in der Öffentlichkeit niemand so genau weiß, wer derzeit (und wie) die größere Regierungspartei führt und damit auch die Regierungsarbeit wesentlich bestimmt, das ÖVP-Parteiprogramm aus 2015 angesehen. Für die Zukunft macht es recht sicher. Es enthält alle notwendigen Stichworte für eine moderne bürgerliche Partei mit christlich-sozialen, liberalen und konservativen Wurzeln: dem Menschen Freiheit bewahren, aber solidarisch den Schwachen helfen; soviel Markt wie möglich, soviel Staat wie nötig; eine Politik führen, die von der Schöpfung ausgeht und die Natur schützt; und eine EU, die schützt und nützt.

Marketing macht keine neue Partei

Nun bin ich mir bewusst, dass Papier bei Parteiprogrammen sehr geduldig ist. Aber wenn die Partei nicht von unerträglichen SMS-Chats einer eingeschworenen Kerntruppe geführt werden will, dann wird sie sich rasch wieder an der gemeinsamen Programmatik orientieren müssen. Durch das Mantra, dass jetzt einfach das Regierungsprogramm weiter abgearbeitet wird, kann die ÖVP höchstens Zeit gewinnen, um sich vom Schock zu erholen. Exzellentes Marketing und Kampagnenfähigkeit können Wahlen gewinnen, aber sie machen noch keine moderne Volkspartei. Sebastian Kurz ist klug genug, um diese neue Situation zu verstehen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wie die Gerichte, die „Parteigranden“ und die öffentliche Meinung all dies beurteilen werden, wissen wir noch nicht.

Der ehemalige Parteiobmann Erhard Busek hat in der FURCHE gefordert, dass die ÖVP das „Geschehene bewältigt“ und ihre christlich-sozialen Wurzeln wiederentdeckt. Vom Neos-Abgeordneten Helmut Brandstätter wurde er dafür in der Vorwoche heftig kritisiert, weil „aus dieser inzwischen orientierungslosen ÖVP keine normale Partei schlüpfen“ könne. Ist diese Kritik mehr als der übliche Reflex eines Oppositionspolitikers, der politisches Kleingeld herausschlagen möchte und dem Sympathie für Sebastian Kurz ohnehin nie nachgesagt werden konnte? Für Brandstätter ist der politische Dialog und sind teils auch Institutionen beschädigt. Das mag stimmen, aber es wird nicht besser, wenn man der ÖVP generell die Zukunftsfähigkeit abspricht.

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