Dürfen Politiker eine Gesinnung haben?
In der Debatte um Abschiebungen gilt Gesinnungsethik als ein Schimpfwort. Doch eigentlich meint diese Bezeichnung die ethische Rahmung und Kritik der Gesetze. Wer das für unwichtig hält, irrt.
In der Debatte um Abschiebungen gilt Gesinnungsethik als ein Schimpfwort. Doch eigentlich meint diese Bezeichnung die ethische Rahmung und Kritik der Gesetze. Wer das für unwichtig hält, irrt.
Der Begriff der „Gesinnungsethik“, der von Max Weber populär gemacht wurde, hat keinen guten Ruf, im Gegenteil. Aber daran ist der große Soziologe, genauer betrachtet, unschuldig. Es sind diejenigen, die sich auf ihn berufen, welche in Verruf bringen, was jeder humanistisch geprägten Kultur zur Selbstverständlichkeit geworden sein sollte: Nämlich, dass Menschen eine Gesinnung haben müssen, will man ihrem politischen Urteil auch ethisches Gewicht zubilligen und ihnen öffentliche Verantwortung übertragen.
Diese kommt, wiewohl alles Rechtliche fundierend, ohne ein moralisches Fundament nicht aus, da ansonsten die Mechanismen und Lockungen der Macht den Verantwortungsträger über kurz oder lang korrumpieren. Max Weber hielt 1919 eine Rede vor Studenten, um den erwartbaren Entartungen der Münchner Räterepublik eine klare begriffliche Warntafel entgegenzustellen. Hier seine Worte: „‚Verantwortlich‘ fühlt sich der Gesinnungsethiker nur dafür, dass die Flamme der reinen Gesinnung, die Flamme z. B. des Protestes gegen die Ungerechtigkeit der sozialen Ordnung, nicht erlischt. Sie stets neu anzufachen, ist der Zweck seiner, vom möglichen Erfolg her beurteilt, ganz irrationalen Taten, die nur exemplarischen Wert haben können und sollen.“
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