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Eine vergessene Chance?

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Trotz einer steten Entwicklung zur Stärkung unmittelbar-demokratischer Elemente in uns-rem Land wurde eine höchst interessante Möglichkeit der Entscheidung durch das Volk vom Nationalrat noch nie in Anspruch genommen: die sogenannte Volksbefragung, die im Jahr 1988 Platz in unserer Verfassung fand.

Dieses Instrument ist vom Volksbegehren - als Initiative an den Gesetzgeber- und von der Volksabstimmung - der Wählerentscheidung über ein Gesetz - streng zu trennen. Bei der Volksbefragung beschließt der Nationalrat, den Stimmbürgern „eine Angelegenheit von grundsätzlicher und gesamtösterreichischer Bedeutung" (Artikel 49 b des Bundesverfassungsgesetzes) zur Beurteilung vorzulegen. Die Entscheiduag hat selbst keine verbindliche Kraft, doch wäre es undenkbar, sich per Befragung an die Wähler zu wenden und dann deren Entscheidung zu ignorieren.

Was hat man sich also gedacht, als man dieses Instrument der direkten Demokratie schuf? Sicher bestand nie die Absicht, komplexe und schwer zu beurteilende Sachverhalte den Bürgern aufzubürden, denn das wider-späche dem Mandat, wie es bei der Nationalratswahl erteilt wurde. Eher war wohl an eine bereichernde Ergänzung des in unserem Lande bestehenden Mechanismus staatlicher Willensbildung gedacht. Entweder es geht um eine Sache, die man bei bestem Wissen und Gewissen verschieden entscheiden kann, oder der Gesetzgeber läßt sich für eine Absicht, die arge Kritik befürchten läßt, die

Vollmacht des Souveräns geben. Genau auf diesen Wegen verlief die Volksbefragung, die vor fünf Jahren in Wien durchgeführt wurde. In die erstgenannte Kategorie fiel das Thema der Weltausstellung in Wien, in die zweite das Vorhaben eines Kraftwerksbaues an der Donau. Die Volksbefragung erteilte damals dem Gemeinderat - mit einem mehrheitlichen Ja und einem ebensolchen Nein - klare Legitimation für sein Vorgehen.

Erstaunlicherweise hat der Nationalrat jedoch bisher keine Notwendigkeit gesehen, sich auf diese Weise an die Bevölkerung zu wenden, obwohl er seit acht Jahren die Möglichkeit dazu hat. Eine Befragung bei den Parlamentsklubs aller Parteien zu diesem Thema läßt den Eindruck entstehen, die Parteien wollten sich diese besondere Form einer direkt praktizierten Demokratie in petto halten. Dies ist an sich ein legitimer Standpunkt, und man soll sicher nicht jetzt gleich die Wähler fragen, ob sie Bezüge der Politiker abgeschafft oder das Fahren mit Licht bei Tag vorgeschrieben sehen möchten. Eine Spielwiese von Demagogen darf die Volksbefragung sicher nicht werden. Doch sollte man bei gegebenen Anlässen darüber nachdenken, ob nicht ein Problem geeignet wäre, vom Volk selbst entschieden zu werden. Dies würde sicher genau jene Bereicherung unserer Demokratie darstellen, die man herbeiführen wollte.

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