Erdbeben: Erdoğans PR-Manöver nach der Katastrophe

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Das entsetzliche Erdbeben bringt den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zunehmend unter Druck. Eine Analyse der Hintergründe und möglicher politischer Folgen.

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Das entsetzliche Erdbeben bringt den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zunehmend unter Druck. Eine Analyse der Hintergründe und möglicher politischer Folgen.

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Die hohe Zahl an Toten, welche die beiden Erdbeben vom 6. Februar gefordert haben – zuletzt stand der Zähler bei über 47.000 –, und die Bilder von Appartementblocks, öffentlichen Gebäuden und Kliniken, die wie Kartenhäuser in sich zusammengefallen sind, haben Recep Tayyip Erdoğans Regime bis ins Mark erschüttert. Nach über 20 Jahren an der Macht und als Vorsitzender der Partei, die in der von den Beben verwüsteten Region die allermeisten Bürgermeister stellt, kann der Staatspräsident die Schuld mangelnder Vorsorge niemand anderem in die Schuhe schieben.

Es gilt deshalb, das Image des Präsidenten und der Regierung erneut aufzupolieren. Ein Versuch in dieser Richtung war die pompös organisierte Spendensammlung am Freitag vergangener Woche. Mehr als 200 TV-Stationen und über 500 Radiosender übertrugen live ein sechs Sunden währendes Tamtam mit viel Beschwörung von nationaler Einheit und muslimischer Gemeinschaft. Die regierungsnahe Presse berichtet von knapp 19 Milliarden Dollar, die zusammengekommen sein sollen. Das ist freilich viel weniger als die 36,5 Milliarden Dollar, die der Bevölkerung während der Regierungszeit von Erdoğan als Sonderumlage zur Erdbebenvorsorge abgezwackt worden sind. Die Gelder wurden jedoch nicht dafür verwendet, sondern für Autobahnen, Brücken, Tunnels und Flughäfen – Großprojekte, die sich die Regierungspartei als ihr Verdienst auf die Fahnen geschrieben hat.

„Wen wollt ihr hinters Licht führen?“

Wie sehr all das ein PR-Gag war, zeigt sich auch daran, dass der Großteil der Spenden in der Show von öffentlichen Stellen wie der Zentralbank, Staatsbanken und staatlichen Unternehmen stammt. Alles Institutionen, die von der Regierung abhängig sind und ihre Überschüsse ohnehin ans Schatzamt weiterleiten müssen. Was für ein Manöver! „Die öffentliche Hand spendet der öffentlichen Hand“, sagt dazu Ali Babacan, langjähriger Wirtschaftsminister Erdoğans, der heute in Opposition zu ihm steht, seine eigene Partei gegründet hat und fragt: „Wen wollt ihr damit hinters Licht führen?“

Zur Propaganda gehört auch, dass die regierungsnahe Presse die Hilfe von Kommunen unter den Tisch kehrte, die nicht unter der Herrschaft von Erdoğans Partei sind. Regierungsnahe Fernsehsender brachten nur die Rettungsaktionen des staatlichen Katastrophenschutzes auf den Bildschirm – und blendeten die Lebensretter zivilgesellschaftlicher Gruppen aus. Gleich drei Oppositionsparteien beschwerten sich, von ihnen bestückte LKWs seien entweder aufgehalten oder gezwungen worden, die Hilfe als solche der Regierung oder von Erdoğans Partei zu deklarieren.

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