Föderalismus in der Pandemie? Ja bitte!
In einer Pandemie brauche es mehr Zentralismus, heißt es allerorten. Warum das zu kurz greift – und die bisherigen Erfahrungen kein Grund sind, das föderale System schlechtzureden. Ein Gastkommentar.
In einer Pandemie brauche es mehr Zentralismus, heißt es allerorten. Warum das zu kurz greift – und die bisherigen Erfahrungen kein Grund sind, das föderale System schlechtzureden. Ein Gastkommentar.
Zu den Ansichten, die ich nie verstehen werde, zählt, wie man nach den Leistungen der Zentralbürokratie in der Pandemie für noch mehr Zentralismus eintreten kann. Stattdessen hören wir immer häufiger den Gassenhauer vom „Föderalismus in der Krise“. In diversen Talkrunden wird das Mantra wiederholt, dass sich doch gerade in einer Krisenzeit das föderale System als ungeeignet zur effizienten Bewältigung der Situation erweise. Leider wird die Frage nie gestellt, ob denn die Leute nach den bisherigen Erfahrungen ernsthaft wollen, dass ganz Österreich vom Gesundheitsministerium verwaltet wird?
Im internationalen Vergleich lag Österreich in der Krisenbewältigung während der ersten Phase der Pandemie sehr gut, derzeit läuft es mittelprächtig. Nicht gerade ein Vorzeigebeispiel für den Föderalismus, aber auch kein Grund, das System schlechtzureden. In der kurzen Zeit, nachdem der Bund mit dem (viel zu spät installierten) Ampelsystem die rechtlichen Grundlagen für eine regionalisierte Pandemiebekämpfung geschaffen hatte, hätten die Länder zweifellos mutiger sein müssen, als es darum ging, da und dort bei der Bevölkerung unbeliebte Maßnahmen zu ergreifen. Auch das Contact Tracing hat im Herbst nicht gut funktioniert. Ein Teil ist auf schwache Kapazitäten in den Gesundheitsbehörden der Länder zurückzuführen, ein anderer Teil aber auch darauf, dass die Auskunftsbereitschaft der Bevölkerung enden wollend war.
Mehr Zentralismus? Du hast ihn ja!
Was generell übersehen wird: Die Aufgabenverteilung in der Pandemiebewältigung hat eigentlich relativ wenig mit Föderalismus zu tun. Seuchenbekämpfung ist eine Angelegenheit der sogenannten mittelbaren Bundesverwaltung, das heißt, sie erfolgt unter der Steuerung und Verantwortung des Bundes. Jedem, der in der Krise nach mehr Zentralismus ruft, ist daher zu antworten: „Du hast ihn ja!“
Die mittelbare Bundesverwaltung funktioniert ein bisschen wie das klassische Wirtshaus. Der Bund ist der Wirt und bestimmt den Menüplan. Die Länder stellen das Personal. Sie können den Gästen nur liefern, was auf der Speisekarte steht und verfügbar ist und müssen die Kundschaft bei Laune halten. Kein Wunder, dass gelegentlich gespannte Stimmung herrscht! Der Gestaltungsspielraum des Personals ist begrenzt. Der Kundschaft ist es jedoch einerlei, wer verantwortlich ist, wenn etwas nicht klappt. Schuld ist immer das Wirtshaus.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!