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Jedem seine „Furche“?

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Die großartige Toleranzproklamation des Konzils wird von vielen gläubigen Katholiken einfach nicht akzeptiert. Im Gegenteil. Mehr denn je setzen einzelne Christen ihre persönliche, oft eigenwillige und nicht selten nur originelle Interpretation des Sittengesetzes absolut. Die Fixierung weltanschaulicher Haltung auf eine Teilweltanschauung ist freilich nicht allein eine Fehlinterpretation im christlich-katholischen Bereich, sondern in allen weltanschaulichen Regionen erkennbar: im Marxismus aller Riten, ebenso wie bei jenen, für welche Toleranz der Glaube derer ist, die nichts glauben, die aber unpersönliches Nichtsglauben allen anderen mit Nachdruck aufzwingen wollen und Toleranz nur als höchstpersönliches Privileg verstehen.

In den letzten Wochen ist dem Herausgeber der „Furche“ eine außerordentlich große Menge von Briefen zugekommen, darunter einige, wenn auch ganz wenige, deren Schreiber der Meinung sind, daß „Die Furche“ nicht dazu legitimiert sei, außer ihrer, der Briefschreiber, eigenen Meinung noch andere Ansichten zu vertreten. Jede auch nur geringfügige Abweichung von der eigenen Meinung, welche „Die Furche“ zu bringen wagte, hat für so manche Rriei-schreiber — und auch für einzelne Freunde am Telephon — den Charakter einer bedenklichen Ziel-abweichung, die außerordentlich scharf gerügt wird, ohne Bereitschaft zu einer auch nur verbalen Konzession. Ein Freund ließ mich sogar wissen, daß er nun „Die Furche“ geradezu mit dem Lineal lese, um „sündhafte Abirrungen vom rechten Weg“, welcher selbstverständlich der seine ist, sofort zu finden und der Redaktion vorhalten zu können. Für manche ist oft schon ein Satz, ein einziger Satz, Anlaß genug, zu „Widrigenfallsdrohungen“: „...widrigenfalls bin ich gezwungen, das Blatt abzubestellen ...“

„Die Furche“ versuchte stets, wie auch in der Herausgebererklärung festgehalten wurde, alles, was sich dem Katholischen verpflichtet fühlt, anzusprechen, und zu diesem Zweck die Vielfalt der Intefpretations-möglichkeiten des Katholischen in publizistische Aussagen zu übersetzen. Es gibt jedenfalls keine katholische Uniforrnität, es sei denn, in Dingen des Glaubens. Ohne deswegen schon Marxist sein zu müssen, soll man nicht übersehen, daß der einzelne, wenn er etwa vom Glauben her die Welt interpretiert, auch von seinem sozialen Standort mehr oder weniger mitbestimmt wird. Die Darstellungsbreite katholischer Philosophie ist gleichfalls eine beachtliche. Wie als selbsteine beachtliche. Wie seinerzeit der Richtungsstreit im sozialen Katholizismus als selbstverständlich akzeptiert wurde. Niemand nahm damals an den oft ungemein hitzigen Auseinandersetzungen Anstoß.

Heute ist man geneigt, im anderen, der nicht gleicher Meinung in der publizistischen Bezeugung des Christlichen ist, also im Mitchristen, flugs einen Linkskatholiken, einen Neonazi, einen Kapitalisten und wie die Marken alle heißen mögen, zu sehen. Oft ohne Uberprüfung; fast durchweg ohne Versuch, überhaupt den inkriminierten Teilbestand, also beispielsweise das, was man als „Linkskatholizismus“ diskriminiert, zu definieren. Vor Jahren erschienene Artikel der „Furche“, von denen man nichts mehr in Erinnerung hat, als daß sie damals die eigene Meinung nicht perfekt widerspiegelten, sind manchem Anlaß fortgesetzter Kritik. Bei vielen unserer Kritiker geht es nicht um eine sachlich belegte Feststellung, sondern einfach um die Absicht, den Mitmenschen, dabei nicht selten unter Hinweis auf päpstliche Enzykliken, abzuwerten und lediglich die eigene Meinung als legitim herauszustellen. Vom Verhaltensmodell der christlichen Liebe ist dabei nicht immer etwas zu merken.

Ich habe seit einem Monat mit hunderten Menschen über „Die Furche“ gesprochen. Mit Freunden und mit Kritikern des Blattes. Ich bin nun an Erfahrungen reicher und darf sagen:

1. Es ist unmöglich, jedem „Furche“-Leser, wie uns das einige zumuten, seine eigene „Furche“ zu schreiben, etwa als „Privatdruck“.

2. Wir Christen müssen nicht nur NichtChristen ertragen und lieben, sondern auch — man staune — den Mitchristen. Aus Fernstenliebe vergessen wir oft die Allernächstenliebe. Dabei ist es nicht selten, daß wir einem perfekten Gegner durchaus zustimmen, aber den Freund im christlichen Lager, mit dem wir so gut wie alles gemeinsam haben, wegen einer verbalen Abweichung im Bekenntnis, wenn nicht gar wegen eines Druckfehlers, hartnäckig ablehnen.

3. Viele Meinungen in der Sache der geforderten Haltung, Gestaltung und Aufmachung der „Furche“ würden, gegeneinander abgewogen, zu einem Nullsaldo führen. Die Versuche, das Blatt auf die Einhaltung einer farblosen Generallinie zu zwingen, müßte jedenfalls die Redaktion zu einem aussagelosen Katholizismus führen und „Die Furche“ auf ein nichtssagendes Organ reduzieren. Das aber wäre Häresie, angesichts des Sendungs-auftrags, den auch die Publizistik anzunehmen hat.

„Die Furche“ erscheint in einer Epoche der Kirchengeschichte, in welcher einer ergriffenen Christenheit, und den Absolutismen zum Vorbild mehr als zweitausend Bischöfe, ohne die Grenzen des Glaubens zu überschreiten, zeigen, welche Vielfalt von Aussagechancen im Christlichen angelegt ist. Daher muß „Die Furche“ Widerstand leisten, wenn ihr zugemutet wird, mitzuhelfen, einem Einseitigkeitschristentum, es möge sich noch so zitatemreich darstellen, publizistische Hilfe zu geben.

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