Kahlschlag bei Ö1: Der Sieg des Mittelmaßes

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„Österreichs größtes Kultur- und Informationsmedium“: So preist der ORF den Radiosender Ö1 an. Doch ausgerechnet beim öffentlich-rechtlichen Leuchtturm regiert nur mehr der Rotstift. Ein Gastkommentar.

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„Österreichs größtes Kultur- und Informationsmedium“: So preist der ORF den Radiosender Ö1 an. Doch ausgerechnet beim öffentlich-rechtlichen Leuchtturm regiert nur mehr der Rotstift. Ein Gastkommentar.

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In Österreich dominiert das absteigende Mittelmaß – die unmerkliche Verschiebung der Standards in Richtung anspruchs- und einfallslos, eine Nivellierung nach unten. Das lässt sich seit langem und immer wieder feststellen – Ausnahmen bestätigen die Regel. Nun trifft es Ö1, „Österreichs größtes Kultur- und Informationsmedium“, wie es auf der Webseite heißt. In den letzten Jahren hat der Sender immer mehr an Hörerinnen und Hörern zugelegt, zuletzt fast eine Million Menschen. Mit anspruchsvollen Wort-Sendungen und ebenso anspruchsvollen Musiksendungen ein Sender, der europaweit als Vorbild gilt. Doch das soll jetzt ein Ende haben, Ö1 wird in die Zange genommen.

Es soll eingespart werden: laut Ö1-Führungsetage „Kunst-Radio“ und „Zeit-Ton“, „Jazznacht“, die preisgekrönte Reportage-Sendung „Moment am Sonntag“, die „Kinderuni“, „Rudi der Radiohund“, „Passagen“ und „Philosophie am Feiertag“. Zeitgleich meint die neue Radiochefin Ingrid Thurnher, sie möchte für Ö1 „mehr Content und weniger Köchelverzeichnis“, als ob Mozarts Musik (dessen Werke im Köchelverzeichnis aufgelistet sind) inhaltsfrei wäre. Angesichts dieser eklatanten Nicht-Bildung darf man die Eignung der neuen Radiochefin für diese Position bezweifeln. Für die üppigen Gehälter in den Führungsetagen des ORF gilt der Sparstift übrigens nicht. Und das ist wohl erst der Anfang des Umbaus.

Keine Überraschung

Überraschend ist das alles nicht. Doch reicht das Gedächtnis meist nicht bis ins Jahr 2001. Die Regierung Schwarz-Blau Eins unter Wolfgang Schüssel hatte es sehr eilig mit der Umstrukturierung Österreichs. Neben Universitäten und Krankenkassen bekam auch der ORF eine neue Struktur. Unter dem Schlagwort „Entpolitisierung“ sah das ORF-Gesetz 2001 einen Stiftungsrat vor, dessen Besetzung die parteipolitischen Verhältnissen im Parlament bestimmen, und der den – für die Grundsätze der Programmgestaltung zuständigen - Generaldirektor wählt. Der Parteienproporz, der durch das Rundfunk-Volksbegehren von 1964 und das ORF -Gesetz 1967 überwunden werden sollte, ist zurück, und keine der politischen Parteien zeigte seither besondere Anstrengung, dieses Gesetz zu ändern.

Betroffen sind nicht nur die Hörer(innen), sondern auch die (Über-)Lebensmöglichkeiten der Kulturschaffenden.

2006 (unter Schüssel II) verlangte die Initiative SOS-ORF ein Ende der parteipolitischen Einflussnahme und eine Rückbesinnung auf die Aufgaben des ORF als öffentlich-rechtlichen Sender für eine qualitätsvolle Programmgestaltung. „Der ORF hat zwei brennende Probleme: das Niveau des Programms sinkt und der politische Druck steigt. Beides schadet dem ORF sehr. Daher muss der ORF daran erinnert werden, dass nur die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags die Gebühren rechtfertigt, und die Regierung muss daran erinnert werden, dass ihr der ORF nicht gehört.“ 2009 unter der Großen Koalition (Faymann/Pröll) gab es eine Neuauflage dieser Initiative unter dem Titel „Rettet den ORF“ – mit genau denselben Forderungen wie 2006.

Dann wurde es still, doch die Salamitaktik, mit der seit 2001 Budgets und Arbeitsplätze gekürzt wurden, intensivierte sich. Stellen wurden – wie es hieß wegen Sparpaketen in dreistelliger Millionenhöhe - nicht oder nur teilweise nachbesetzt und auch Sende-Budgets wurden immer mehr gekürzt. Unter den meist unterbezahlten Sendungsmachern von Ö1 munkelte man, dass der ORF – und vor allem Ö1 – totgespart werden sollte.

Im Regierungsprogramm 2020-2024 wurde der Kulturauftrag des ORF noch explizit betont. Doch die nun geplanten Streichungen widersprechen dem öffentlich-rechtlichen Auftrag. Die geplante Halbierung der „blauen Seiten“ von orf.at etwa erfreut die Zeitungsverleger und ihre ökonomischen Hintermänner. Doch für die Bürgerinnen und Bürger ist dies ein Informationsverlust und wieder ein Schritt mehr in Richtung Postdemokratie.

Intellektuelle und kulturelle Landschaft

Der ORF und Ö1 sind ja nicht irgendwelche Sender, sondern Teil der intellektuellen und kulturellen Landschaft Österreichs. Ö1 ist nicht nur ein „Festspielsender“ mit Musiksendungen im Hochglanzformat, sondern einer der wenigen Orte öffentlicher intellektueller Debatte. Die geplante Streichung von Sendungen mit diskursivem, intellektuellem Anspruch ruiniert die von der politischen Klasse in Österreich ohnedies vernachlässigte Fähigkeit zu kritischem Nachdenken noch einmal mehr. Der öffentlich-rechtliche Auftrag gilt nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder. Mit diesen Streichungen wird das Recht auf Bildung von Erwachsenen und Kindern - auch Kinder haben Rechte! – beschädigt.

Wenn international renommierte Musiksendungen wie „Kunstradio – Radiokunst“, „Zeit-Ton“ und „Jazznacht“ abgeschafft werden, ist das ein tiefer Einschnitt in die Kunst- und Kulturszene Österreichs. Betroffen sind ja nicht nur die Hörerinnen und Hörer, sondern ganz wesentlich die Lebens- und Überlebensmöglichkeiten der Kulturschaffenden, wie das z.B. die „Austrian Composers Association“ der Bundesregierung und der ORF-Führung vorrechnet.

Vielleicht ist all dies nicht verwunderlich. In Österreich werden Kultur und Wissenschaft nicht wirklich ernst genommen. In den Covid-Regeln etwa wurden Bibliotheken und Museen ernstlich auf dieselbe Stufe gestellt wie – Bordelle: als Orte der Unterhaltung.

Die Autorin war zwischen 1990 und 2011 Radiomacherin (Wissenschaft, Religion) auf Ö1.

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