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Kinder - „Luxusprodukte" der Moderne ?

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Die einen wollen unbedingt ein Kind (siehe auch Beitrag oben), die anderen sagen Nein dazu. Warum?

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Die einen wollen unbedingt ein Kind (siehe auch Beitrag oben), die anderen sagen Nein dazu. Warum?

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Bei einem Viertel aller Paare ist die Kinderlosigkeit auf psychische Faktoren zurückführen", berichtet der Wiener Gynäkologe und Psychotherapeut Klaus Eberhard Weber in einem Gespräch mit der FURCHE aus seiner Praxis. Die psychischen Ursachen für eine ungewollte Kinderlosigkeit sind vielfältig: So gibt es beispielsweise das Phänomen, daß die Erwartungshaltung einer Großfamilie auf Kinderzuwachs so groß ist, daß diese ein Paar psychisch und physisch blockieren kann.

Ein anderes Problem, das bei Frauen immer wieder auftaucht, ist jenes, daß die „Bemutterung" durch die eigene Mutter zu intensiv war und deswegen als negativ erfahren wurde.

Genau dies erweist sich nun als Hemmnis für die eigene Mutterschaft. Ein mögliches psychisches Hindernis kann auch folgende Konstellation sein: Die Frau liebt ihren Mann, kann sich selbst aber nicht annehmen; diese Nicht-Annahme überträgt sie nun auf das Kind, welches ja nicht nur aus dem geliebten Gegenüber, sondern auch aus dem ungeliebten Ich entstehen soll.

Während diese psychischen Ursachen oft durchwegs altbekannte Mechanismen darstellen und nach Aussage des Mediziners nicht im Zunehmen sind, tritt in unseren Tagen ein neues Phänomen auf, nämlich jenes, bewußt auf Kinder zu verzichten. „Der Trend geht sicherlich zur bewußten Kinderlosigkeit", prognostiziert Weber.

Die Erklärung dafür ist relativ einfach. „Die materiellen Gründe stehen hier eindeutig im Vordergrund". Hinzu komme ein geringerer Anteil an „transzendenten Gründen", wie etwa, ob es zu verantworten ist, in eine Welt wie diese noch Kinder zu setzen.

Dieses bewußte „Nein" zum Kind unserer Tage ist jedoch nur aufgrund der modernen Rahmenbedingungen möglich. Früher besaßen Kinder einen materiellen Stellenwert und waren lebenswichtig für die Altersversorgung der Eltern.

Die Geburtenrate ging erst auffällig zurück, seitdem eine außerfamiliäre, das heißt staatliche Altersversorgung eingeführt wurde. „Kinderkriegen wird heute als Luxus empfunden", formuliert Weber den heutigen Zustand. Die Erfahrung zeigt, daß Paare sich gerne zunächst um ihre persönlichen Bedürfnisse, gemeinsame Wohnung, Urlaub oder Auto kümmern. „Erst aus diesem saturierten Zustand heraus sind sie bereit, Kinder zu kriegen."

Überhaupt konstatiert der Mediziner einen Trend zum Single. Die beiden Geschlechter benötigen einander nicht mehr so wie früher aus materiellen Gründen. „Das heutige Supermarkt-Angebot ermöglicht es jedem Mann, sich problemlos selbst zu versorgen; er braucht dazu nicht mehr unbedingt die Frau, die früher die Hüterin des Hauses war". Umgekehrt ist die Frau kaum mehr auf die Schutzfunktion des Mannes angewiesen; Frauen haben die Möglichkeit, selbständig und materiell unabhängig von einem Partner zu leben. Hinzu kommt, daß auch der soziale Status einer Frau, die alleine lebt, sich zum Positiven verändert hat.

Logische Folge dieser neuen Geschlechterkonstellation ist ein Sinken der Geburtenrate. Ein sozialer Kollaps sei aber nicht zu befürchten, so Weber, denn „der Zuzug von Fremden gleicht die geringe Geburtenrate aus".

Wie sich der Trend allerdings auf die innere Stabilität und das Selbstverständnis unserer Gesellschaft auswirkt, ist eine andere Frage.

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