Klima-Aktivismus: Vom Kleben zum Überleben

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Die „Letzte Generation“ beschüttet Kunstwerke (hinter Glas) und klebt sich an Straßen fest – zuletzt etwa am Wiener Praterstern. Ist in der Klimakrise jedes Mittel recht? Ein Gastkommentar.

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Die „Letzte Generation“ beschüttet Kunstwerke (hinter Glas) und klebt sich an Straßen fest – zuletzt etwa am Wiener Praterstern. Ist in der Klimakrise jedes Mittel recht? Ein Gastkommentar.

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Vor zwei Wochen habe ich mir den Film „Avatar 2“ angesehen. Dieser Blockbuster zeigt eine im Grunde friedliche und im Gleichklang befindliche Welt, die von bösen Menschen auf der Jagd nach Ressourcen angegriffen und teilweise zerstört wird. Untermauert wird diese Inszenierung von Gut und Böse mit martialischen Kampfszenen, wo sich die scheinbar unterlegenen Geschöpfe – die Guten – auch mit kämpferischen Mitteln erfolgreich zur Wehr setzen.

Ähnliches scheint sich seit einiger Zeit in Österreich und vielen anderen Ländern dieser Welt abzuspielen – wenn auch weniger filmreif und mit heftigen Debatten darüber, wer hier „die Guten“ und wer „die Bösen“ sind. Klimaaktivistinnen und -aktivisten zeigen jedenfalls mit aufsehenerregenden Mitteln auf, dass in der Klimapolitik etwas falsch läuft und dass es machtvolle Interessen gibt, die weiterhin den Planeten und seine Bewohner(innen) ausbeuten wollen. Die jungen Menschen beschmieren Glasscheiben, hinter denen wertvolle Kunstgemälde aufgehoben sind – und haben sich zuletzt auch am Wiener Praterstern festgeklebt. Ihr Argument: Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird es keine lebenswerte Grundlage mehr für zukünftige Generationen geben. Adres­sat ihrer Forderung ist freilich nicht der Einzelne, nicht die im Stau stehende Autofahrerin oder der Museumsbesucher, sondern „das System“ und damit in erster Linie die Politik, gefolgt von Unternehmen und anderen Entscheidungstragenden, in deren Hand es liegt, endlich etwas gegen die Klimakrise zu tun.

Solidarisch mit der „Letzten Generation“

Unterstützt werden sie darin von der Wissenschaft, die im Konsens den Menschen als Hauptverursacher der Klimaerhitzung identifiziert hat. Am 10. Jänner haben sich deshalb rund 40 Wissenschafter(innen) – neben vielen prominenten Namen auch der Autor dieser Zeilen – sowohl mit den Forderungen der „Letzten Generation“ solidarisch erklärt, das heißt der Einführung von strengeren Tempolimits in Österreich, als auch mit den Aktionen selbst. Unser Argument ist, dass am Ende des Tages zwar nicht jedes Mittel recht ist – aber die bevorstehende Klimakatastrophe es durchaus rechtfertigt, friedlich Straßen zu blockieren oder Kunstwerke – gut geschützt hinter Glaswänden – zu beschmieren.

Auf der anderen Seite stehen die Politik und auch eine Mehrheit der Bevölkerung, die diese Aktionen ablehnen, verstörend beziehungsweise sogar kontraproduktiv finden – und Klimaaktivisten, die sich selbst klar als „die Guten“ sehen, für die eigentlichen „Bösen“ halten.

Für mich als Politikwissenschafter ist jede Perspektive auf diese Frage gerechtfertigt – außer jene, die gegenüber friedlich Protestierenden Gewalt anwendet, und jene, die gewaltfrei agierende Aktivist(inn)en öffentlich „Terroristen“ nennt. Aus wissenschaftlicher Sicht sehe ich zudem keinen Schaden durch solche Formen des zivilen Ungehorsams, außer dass es bei Einzelnen auf Unverständnis stößt – was wiederum in der Natur dieser Protestform liegt. Ziviler Ungehorsam ist schließlich per definitionem eine öffentliche, gewaltfreie und gewissenhafte Handlung, die gegen das Gesetz verstößt – in der Regel in der Absicht, eine Veränderung herbeizuführen. Offenbar braucht es diese vielfältigen Aktionen des zivilen Ungehorsams, damit das Klimathema überhaupt diskutiert und ernst genommen wird – egal ob in den Medien, in der Politik oder in der Gesellschaft. Darüber hinaus gilt es auch, auf geistes- und sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse hinzuweisen, die derartige Protestformen als zentrales Mittel für Veränderungen identifiziert haben.

Zu glauben, dass legale wie illegale gewaltfreie Proteste die Demokratie untergraben, ist ein Trugschluss.

Sehr gut lässt sich dies an Beispielen wie der Frauenrechtsbewegung oder dem Kampf für mehr Gleichberechtigung der schwarzen Bevölkerung in den USA aufzeigen. Nicht die Regierenden haben diese Veränderungen angestoßen, sondern sie haben sie schlussendlich nur administriert. Zu glauben, dass legale wie illegale gewaltfreie Proteste die Demokratie untergraben, ist folglich ein Trugschluss. Sie sind fundamentaler Bestandteil politischer Beteiligung. Und sie sind Ausdruck von Unzufriedenheit. Illegitim wird es nur dann, wenn Gewalt damit einhergeht.

Der Hörsaal allein reicht nicht

Um nun auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen, welche Mittel uns in der Klimakrise recht sind: Mir als Wissenschafter und Bürger ist im Kampf gegen die Klimakrise jedes Mittel politischer Beteiligung in einer Demokratie recht. Zu diesem Spektrum gehören Formen des zivilen Ungehorsams genauso wie Wahlen, Streiks, Boykotte, das Starten einer Onlinepetition ebenso wie die Teilnahme an einer Bürgerinitiative. Durch alle diese Formate sehe ich die politische Beteiligung und damit auch die Demokratie gestärkt.

Ich bin überzeugt, dass der Kampf gegen die Klimakrise alle diese Aktionen und Beteiligungsformate braucht. Die Welt um uns he­rum verändern wir nicht allein aus dem Hörsaal, wo ich tätig bin, oder von der Straße aus, wo andere aktiv sind. Aber wenn öffentliche Räume besetzt werden, um aufzuzeigen, dass Regierende und Entscheidungstragende bis heute zu wenig gegen die Klimakrise unternehmen, dann haben wir schon viel erreicht; nicht nur Aufmerksamkeit, sondern eben auch das Bewusstsein dafür, dass manche Dinge ge- oder verändert gehören.

Der Autor ist Senior Lecturer am Institut für Wald-, Umwelt- und Ressourcenpolitik der Universität für Bodenkultur (BOKU) sowie Mitglied der dort angesiedelten Ethikplattform.

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