Krise? Umbau statt Geldspritzenpolitik!
Seit fast 50 Jahren hat die neoliberale „Navigationskarte“ immer tiefer in eine Krise geführt. Sie wird nur durch einen sozial-ökologischen Systemwechsel überwunden werden. Ein Gastkommentar.
Seit fast 50 Jahren hat die neoliberale „Navigationskarte“ immer tiefer in eine Krise geführt. Sie wird nur durch einen sozial-ökologischen Systemwechsel überwunden werden. Ein Gastkommentar.
Die Covid-19-Pandemie traf auf eine Systemkrise, deren Symptome seit Jahrzehnten angewachsen sind: Arbeitslosigkeit, prekäre Jobs, zunehmende Armut und exzessiver Reichtum, boomende „Finanz-Alchemie“, steigende Staatsverschuldung, Schwächung des Sozialstaats, Wut, Verbitterung und Zukunftsangst der (Noch-nicht-)Deklassierten. Dazu kommt fortschreitende Zerstörung der Umwelt – vor allem durch die Erderwärmung.
Die Eliten spüren: Die alten Rezepte von „Mehr privat, weniger Staat“ würden in einen Zusammenbruch führen, also predigen sie nun Solidarität, Mitverantwortung und viel mehr Staat(sausgaben). Die gemeinsame Ursache der Symptome erkennen sie nicht: jene Ideologie, die sie selbst jahrzehntelang vertraten. Deren Fundament hatten die Nobelpreisträger Hayek, Friedman und Co gelegt: Menschen sind nur Individuen („Gesellschaft gibt es nicht“), ihr Egoismus wird durch eine „unsichtbare Hand des Markts“ ins Optimum verwandelt. Die Menschen sollen sich „den anonymen Kräften des Markts unterwerfen“ (Hayek), Sozialstaat und Gewerkschaften müssen geschwächt, Finanzmärkte „befreit“ werden.
Sieg des Neoliberalismus?
Seit 1971 wurden die neoliberalen Forderungen in Etappen durchgesetzt: Die Aufgabe fester Wechselkurse zieht zwei Dollarentwertungen, zwei „Ölpreisschocks“ und zwei Rezessionen nach sich, Inflation, Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung steigen. Hohe, über der Wachstumsrate liegende Zinsen sowie schwankende Wechselkurse und Rohstoffpreise verlagern das Profitstreben von Real- zu Finanzinvestitionen, massiv gefördert durch die Erfindung der Finanzderivate. Das Wirtschaftswachstum sinkt von Jahrzehnt zu Jahrzehnt.
Der Zusammenbruch des „realen Sozialismus“ 1989ff wird als Endsieg des Neoliberalismus gedeutet, auch die sozialdemokratischen Eliten schwimmen nun mit. Sowie durch Schaffung prekärer Jobs bekämpft, die Staatsverschuldung durch Schwächung des Sozialstaats. Gleichzeitig boomen die Börsen und machen relativ wenige exzessiv reich. Wenn aber die Kurse einbrechen wie 2008 oder 2020, dann werden ihre Vermögen durch Regierung und Notenbank gerettet. Auch die Erderwärmung hat der Neoliberalismus begünstigt. Klimaforscher belegen seit den 1970er Jahren: Die Erderwärmung ist Folge unseres Wirtschaftens. Dieses größte Marktversagen der Menschheitsgeschichte kann nur durch staatliches Handeln eingedämmt werden. Doch das passte nicht zu „Mehr privat, weniger Staat“.
Fazit: Seit fast 50 Jahren hat die neoliberale „Navigationskarte“ immer tiefer in eine Krise geführt. Sie wird nur durch einen evolutionären Systemwechsel (wie nach 1945) überwunden werden. Dazu wird es wohl eine Krisenverschärfung brauchen – nach Jahrzehnten der ideologischen „Einfärbung“ ist der Lernwiderstand der Eliten noch zu groß.
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