Moralisieren in der Politik: Die Banalität des Bessermenschen
Ob USA oder Europa: Mit weltanschaulicher Diversität kommen Progressive schlecht zurecht, findet Aurelius Freytag. Er ortet bedenkliches Erstarren in moralisierender Rechthaberei. Ein Gastkommentar.
Ob USA oder Europa: Mit weltanschaulicher Diversität kommen Progressive schlecht zurecht, findet Aurelius Freytag. Er ortet bedenkliches Erstarren in moralisierender Rechthaberei. Ein Gastkommentar.
In „Der Liberalismus und seine Feinde“ befindet Francis Fukuyama, dass nicht bloß Konservative Schwierigkeiten mit der kulturellen und religiösen Diversität des transatlantischen Westens hätten, sondern spiegelbildlich auch Progressive mit seiner weltanschaulichen Diversität – selbst seiner religiösen Vielfalt, nämlich konservativen Formen des Christentums. Das führe zunehmend zu exklusiven Praktiken im linken Spektrum, das Sichtweisen, die ihm ungeheuer sind, aus der demokratischen Entscheidungsfindung verbannen will.
Es begann mit Regeln „politisch korrekten Sprechens“, das sich von der Forderung zum empathischen Dialog zur Zensur der öffentlichen Diskussion entwickelt; es setzte sich fort in der Forderung nach Safe Spaces, in denen Teile des westlichen Bildungskanons mit Warnhinweisen versehen oder Minderheiten über ihre – ihnen keineswegs vorbehaltene – Lebenswelt ohne Mitsprache der angeblich „kolonialistischen“ und „rassistischen“ Mehrheit bestimmen sollen; und es endet im Verlangen, Zuwanderung und andere Politikbereiche der demokratischen Entscheidung zu entziehen.
Falsche Postkolonialismustheorie
Die exklusive Agenda wird im belehrenden Tonfall vorgetragen, mit dem sich „Gutmenschen“ nicht bloß von dumpf Reaktionären abgrenzen, sondern sie als Bessermenschen übertrumpfen wollen. Gemessen an historischen Fakten erweisen sich Grundsätze der Critical Race und der Postkolonialismustheorien aber als falsch.
Ein Beispiel: Europäischen Händlern, die selbst nie versklavten, wurden die nach Amerika verschifften Sklaven von afrikanischen Staaten geliefert. Deren sklavistischen Systemen machte erst die englische und französische Kolonialisierung Afrikas ein Ende, die (bei allem Verwerflichen des Imperialismus) auch abolitionistisch motiviert war, also auf Basis einer lang zurückreichenden, europäischen geistesgeschichtlichen Tradition die Sklaverei bekämpfen wollte. Dass Afrika mehr Sklaven in islamische Reiche als über den Atlantik exportierte, ist vergessen, und das Thema gilt als islamophob. Man ist nicht an komplexen Fragen, sondern einfachen Antworten interessiert, die für wahr erklären, was eigenem moralischem Vorurteil entspricht.
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