Moria: Kultivierte Moral
Moria ist aus dem Blick geraten, doch das Thema bleibt dringlich ‒ und universelle humanistische Prinzipien müssen die Grundlage dieser Debatte sein. Ein Gastkommentar von Georg Cavallar.
Moria ist aus dem Blick geraten, doch das Thema bleibt dringlich ‒ und universelle humanistische Prinzipien müssen die Grundlage dieser Debatte sein. Ein Gastkommentar von Georg Cavallar.
Damit keine Zweifel aufkommen: Ich halte es für moralisch fragwürdig, wenn nicht einmal ein paar hundert Kinder und Jugendliche, die sich immerhin in einem EU-Land aufhalten, in Österreich aufgenommen werden.
Die in den Diskussionen genannten Begründungen überzeugen allerdings wenig. Da ist etwa die Rede von der „Seele Europas“ oder von der Menschlichkeit, die Europa erst zu Europa mache. Können wir wirklich behaupten, das Wesen Europas sei die Humanität? Das klingt nach Essentialismus. Ist die Seele Europas die Gewalt? Dafür gibt es Indizien, aber auch das ist ein unsinniger Essentialismus. Europa ist ein Begriff, unter dem sich sehr viel subsumieren lässt, von „Humanität“ und „Aufklärung“ über „Manchester-Kapitalismus“ bis zu Genozid und Weltkriegen.
Noch einfacher machte es sich die Boulevardpresse. Sie forderte „mehr Gefühl“ und „mehr Herz“ mit Blick auf das Elend der Flüchtlinge. Peinlicherweise gibt es jedoch auch Gefühle wie Fremdenangst oder -feindlichkeit. Oder die Angst vor Pull-Effekten. Welche Gefühle sind nun die authentischeren, wertvolleren oder diejenigen, an die ich mich halten sollte?
Bleibt noch das beliebte ad-hominem-Argument: Bundeskanzler Sebastian Kurz sei herzlos, zynisch, kalt, machtgeil, ohne Empathie. Das mag alles stimmen – es sind aber trotzdem nur psychologische Unterstellungen ohne eindeutige Evidenz. Außerdem ist Kurz sicher nicht der einzige in Österreich, der diese Politik vertritt und für richtig hält – siehe SP-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Es bringt uns wenig weiter, die Debatte zu personalisieren.
So „altmodisch“ wie Nächstenliebe
Sinnvoll sind nur humanistische Begründungen. Diese gibt es in einer christlichen und einer säkularen Variante. Die christliche Version ist in den letzten Ausgaben der FURCHE ausgiebig diskutiert worden (an dieser Stelle von Maria Katharina Moser, Ludger Schwienhorst-Schönberger und Franz Gmainer-Pranzl). Humanistische Prinzipien der Würde und der unveräußerlichen Rechte aller Menschen, die diesen allein aufgrund ihres Menschseins zustehen, klingen für viele in Europa leider mittlerweile genauso altmodisch wie die Nächstenliebe. Ich merke das immer dann, wenn Jugendliche in Gesprächen mit Begriffen wie „Würde“, „universell“ oder „unveräußerlich“ wenig bis gar nichts anfangen können.
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