
OGH zur Causa Hannes Schopf: Ein Urteil, das Fragen aufwirft
Hannes Schopf, von 1984 bis 1994 FURCHE-Chefredakteur, war einer der ersten Coronatoten Österreichs. Der Oberste Gerichtshof sollte Behördenversagen prüfen – tat es aber nicht. Ein Gastkommentar.
Hannes Schopf, von 1984 bis 1994 FURCHE-Chefredakteur, war einer der ersten Coronatoten Österreichs. Der Oberste Gerichtshof sollte Behördenversagen prüfen – tat es aber nicht. Ein Gastkommentar.
Der Journalist und ehemalige FURCHE-Chefredakteur Hannes Schopf reiste am 7. März 2020 nach Ischgl – und fuhr am 13. im überfüllten Bus vorzeitig zurück, nachdem Ex-Kanzler Sebastian Kurz die sofortige Quarantäne ausgerufen hatte. Vier Tage später, am 17. März, wurde bei ihm Covid nachgewiesen. Am 10. April starb Schopf im Alter von 72 Jahren.
Seine schockierte Familie klagte mit Hilfe des Verbraucherschutzvereins (VSV) die Republik auf Amtshaftung. Witwe und Sohn hofften auf Gerechtigkeit – ganz im Sinne des so tragisch Verstorbenen, der zeitlebens für diesen Wert gekämpft hatte. Den erstrittenen Schadenersatz wollte man spenden.
In dem Urteil, das Ende Juli 2023 publiziert wurde, lehnte der Oberste Gerichtshof einen Schadenersatz aus formalen Gründen ab. Das damals geltende Epidemiegesetz sollte die Ausbreitung ansteckender Krankheiten verhindern, es sei aber kein Schutzgesetz, aus dem individuell Schadenersatz abgeleitet werden könne. Weil die Amtshaftung aus rein formalen Gründen nicht infrage kam, hat der OGH inhaltlich gar nicht mehr überprüft, ob eine schuldhafte Pflichtverletzung seitens der Behörden vorlag. Damit ist dieses Urteil umgekehrt auch kein Persilschein für die involvierten Behörden und deren offensichtliche Pannen. Insbesondere Tirol kann daraus nicht den Schluss ziehen „wir haben alles richtig gemacht“. Wie könnte man auch etwas exkulpieren, was gar nicht untersucht wurde?
Echte Falschinformationen
Bei genauer Analyse dieser Causa stößt man freilich auf falsche Tatsachen und echte Falschinformationen, die Zweifel am Urteil aufkommen und auf eine abenteuerliche Bewertung behördlicher Medieninformationen schließen lassen. Zwei Tage vor Anreise von Hannes Schopf, am 5. März, gab es etwa laut OGH im Bezirk Landeck nur sieben Covid-Verdachtsfälle, von denen keiner bestätigt war. Das ist falsch! Wahr ist vielmehr, dass es an diesem Tag einen amtlich bestätigten Covid-Fall gegeben hat: einen norwegischen Studenten in Pettneu am Arlberg, das zum Bezirk Landeck gehört. Die Tiroler Landesregierung hatte darüber zu Mittag via Pressemitteilung informiert.
Dabei ließ man unerwähnt, dass der Student in Ischgl gewesen war. Die Bezirkshauptmannschaft Landeck musste aber davon gewusst haben, da ihn der Amtsarzt von Landeck persönlich untersucht hatte. In der Pressemitteilung verwies man nur darauf, dass der Student aus Italien eingereist war.
Die Botschaft an die Behörden: Bleibt möglichst unpräzise, dann seid ihr nicht zu belangen, selbst wenn ihr lügt.
Es ist mehr als aufklärungsbedürftig, warum der OGH zur faktenwidrigen Annahme gelangte, es hätte im Bezirk Landeck an diesem Tag noch keinen bestätigten Covid-Fall gegeben! Denn außer dem Covid-Fall in Pettneu (mit weiteren drei Verdachtsfällen) wurde am 5. März auch noch amtlich bekannt, dass 14 isländische Gäste, die in Ischgl logiert hatten, an Covid erkrankt waren. Dazu veröffentlichte die Tiroler Landesregierung am frühen Abend eine Pressemitteilung, die von Falschinformationen nur so strotzte. Darin war die Rede, dass „mehrere“ von 14 isländischen Gästen, die im Tiroler Oberland auf Urlaub waren, Covid hätten. Tatsächlich waren nachweislich alle 14 Isländer erkrankt und nicht „mehrere“ von ihnen. Zudem wurde die Vermutung aufgestellt, dass die Isländer auf dem Rückflug infiziert worden wären, weil ein erkrankter Italien-Urlauber an Bord gewesen war. Daher sei es aus medizinischer Sicht wenig wahrscheinlich, dass es zu Ansteckungen in Tirol gekommen ist. Tatsächlich waren die Isländer mit zwei verschiedenen Flugzeugen zu unterschiedlichen Zeiten geflogen und zwei von ihnen schon in Ischgl erkrankt. Die These von der Ansteckung auf dem Heimflug wurde medial verbreitet, obwohl alle Zuständigen in Tirol bereits vor Versenden der Pressemitteilung wussten, dass diese These falsch war.
Faktenwidrig heruntergespieltes Risiko
Dem OGH war das bekannt – und er stufte diese Mitteilung als inhaltlich falsch ein. Dennoch lehnte er eine Amtshaftung ab. Wieder aus formalen Gründen, sodass er auch in diesem Punkt gar nicht näher überprüfte, ob ein Fehlverhalten der Behörden vorlag. Weil diese Pressemitteilung vage und vorsichtig formuliert gewesen sei, sei kein „Vertrauenstatbestand“ gesetzt worden. Weder sei behauptet worden, dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen sei – noch das Gegenteil.
Die Tatsache, dass man in dieser Pressemitteilung Ischgl aus dem „Schussfeld“ bekommen wollte und das Urlaubsgebiet der erkrankten Isländer auf das Tiroler Oberland ausdehnte, wertete der OGH sogar als entlastend. Echt jetzt? Gerade in einer akuten Krisensituation, bei der die Ausbreitung eines todbringenden Virus rasch gestoppt und die Menschen entsprechend informiert werden müssten, soll eine Behörde das Ausmaß der Risikosituation faktenwidrig herunterspielen dürfen? Medien, die dermaßen die Fakten verdrehen, würden zu Recht sanktioniert!
Folgt man der Logik des OGH, dürfen in Österreich Behörden in Krisen falsch und irreführend informieren – solange sie Unsicherheiten produzieren. Die Botschaft an die Behörden: Bleibt möglichst unpräzise, dann seid ihr rechtlich nicht zu belangen, selbst wenn ihr nachweislich lügt. Die Botschaft an Bevölkerung und Gäste: Traut keiner Behörde, schon gar nicht in Krisen. Auf der Strecke bleiben Opfer und Angehörige. Aber auch die Glaubwürdigkeit der Behörden.
Die Autorin ist Journalistin und Geschäftsführerin von „AJOUR – Arbeit für JournalistInnen“. Weitere Hintergründe zur Causa auf lydianinz.at.

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf mehr als 175.000 Artikel seit 1945 – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!
Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf mehr als 175.000 Artikel seit 1945 – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!