"Querdenker": Kritik des Widerstandes
Warum von Bürger(inne)n Loyalität gefordert werden darf - und abstandsfreie „Querdenker“-Demonstrationen kein „ziviler Ungehorsam“ sind. Ein Gastkommentar von Aurelius Freytag.
Warum von Bürger(inne)n Loyalität gefordert werden darf - und abstandsfreie „Querdenker“-Demonstrationen kein „ziviler Ungehorsam“ sind. Ein Gastkommentar von Aurelius Freytag.
Bürgerliche Tugenden wie Achtung vor dem Gesetz, Pflichtbewusstsein und persönliche Lebensdisziplin haben heute den Hautgout des knechtisch Reaktionären. Sie seien sekundär und man könne damit auch ein KZ betreiben, schrieb, noch öffentlich angesehen, Oskar Lafontaine. Carl Amery nannte sie – abwertend gemeint – Mentalität des katholischen Milieus.
Die Covid-19-Pandemie unterwarf diese bürgerlichen Tugenden ebenso wie die auf deren Reste verwiesenen Regierungen harten Proben. Der Gefahr kollabierender Spitäler ausgesetzt, schränkte man den Alltag – ratend, aber dennoch massiv – ein. Man konnte nicht auf Evidenzbasiertheit warten, obwohl bald gewiss wurde, dass Besseres möglich gewesen wäre. Viele befolgten das Verordnete, immer mehr nicht. Paradoxes kam hervor: Jene, die bieder dem Suboptimalen folgten, dämmten die Pandemie ein – jene, die verweigerten, säten Sturm in der Flut und steigerten damit die Restriktionen. Zu Massentests gingen jene, die ohnehin die Hygienemaßnahmen befolgten – die Verweigernden blieben den Tests fern und ließen sie scheitern, womit sie sich selbst rechtfertigten.
Kümmerlicher Begriff von Freiheit
Gründe zu finden, warum man Regeln nicht folgen will, ist leicht – wie in einem flachen Teich banaler Freiheiten fischen. Gegen ungerechtes Gouvernement stellt der Rechtsstaat zwar prozessuale Mittel zur Verfügung – und sie werden auch genutzt: Wahlen sind ein Werkzeug, eine schlechte Regierung in die Wüste zu schicken, aber bis Gerichte oder Wahlen entscheiden, darf Loyalität gefordert werden. Die bürgerlichen Tugenden sind also notwendiger Teil einer wohlgeordneten, auf allgemein geteilter Gerechtigkeitskonzeption basierenden, freien und demokratischen Gesellschaft. In ihr ist es daher legitim, das Befolgen staatlicher Maßnahmen von jenen zu fordern, die sie nicht gutheißen – und für die Ablehnenden ist es klug, sie zu befolgen.
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