Terrorismus bei Muslimbrüdern: Eher dürftig belegt

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Die österreichweite Razzia gegen die Muslimbruderschaft hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Denn Terrorismus wurde den Muslimbrüdern bislang nicht vorgeworfen. Wie gefährlich sind sie wirklich?

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Die österreichweite Razzia gegen die Muslimbruderschaft hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Denn Terrorismus wurde den Muslimbrüdern bislang nicht vorgeworfen. Wie gefährlich sind sie wirklich?

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Am 9. November drangen insgesamt 930 Polizisten in vier Bundesländern vor 5 Uhr morgens in 60 Wohnungen, Geschäftsräume und Büros ein, um im Rahmen einer „Operation Luxor“ benannten Aktion der Staatsanwaltschaft Graz die Aktivitäten der Muslimbruderschaft in Österreich auszukundschaften. Betroffene berichten mittlerweile von ziemlich rüden Vorgangsweisen. Manch ein älterer Herr wachte mit Blick in einen Gewehrlauf auf. Wohnräume sollen verwüstet worden sein, und selbst Vorwürfe der Körperverletzung stehen im Raum.

Dementsprechend dramatisch sind die Vorwürfe, die die Staatsanwaltschaft Graz erhebt. Den mutmaßlichen Muslimbrüdern wird Mitgliedschaft in einer staatsfeindlichen Verbindung, in einer terroristischen Vereinigung, einer kriminellen Organisation und Terrorismusfinanzierung vorgeworfen. Betroffen waren neben der „Liga Kultur“, der „Anas-Schakfeh-Privatstiftung“ und einigen weiteren Vereinen auch Gründungsmitglieder der „Muslimischen Jugend Österreichs“ (MJÖ) und ein Politikwissenschaftler, der sich vor allem mit seiner – teilweise mit türkischen Geldern finanzierten – Islamophobieforschung hervorgetan hatte.

Auch wenn wir noch nicht genau wissen, was bei den Hausdurchsuchungen gefunden wurde und das Innenministerium selbst klarstellte, dass es keinen Zusammenhang mit dem dschihadistischen Terroranschlag eine Woche vorher in Wien gäbe, so verwundert doch der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB).

Was ist die Muslimbruderschaft?

Die 1928 in Ägypten vom Volksschullehrer Hassan al-Banna gegründete Muslimbruderschaft, die sich durch die Flucht vieler Mitglieder vor der Verfolgung unter Gamal Abdel Nasser in die ganze arabische Welt und nach Europa ausbreitete, wurde bisher in Europa nämlich nie als terroristische Organisation betrachtet. Zwar ist unbestritten, dass die Organisation mit ihrer diffusen Forderung nach einer Einheit von Staat und Religion, ihrem extrem antiquierten Frauenbild und ihrem Antisemitismus nicht gerade aus Musterdemokraten besteht, allerdings haben sich im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr unterschiedliche nationale Entwicklungen ergeben, die von legalen Parteien im Rahmen eines Mehrparteiensystems, wie in Tunesien, bis zur Gründung bewaffneter Bürgerkriegsmilizen in Syrien oder der Hamas in Palästina reichen.

Der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) verwundert doch.

Irgendwo dazwischen befinden sich die ägyptischen, algerischen und irakischen Muslimbrüder. Auch aus der ägyptischen Muslimbruderschaft sind in der Vergangenheit durchaus Gruppierungen hervorgegangen, die man mit Fug und Recht als terroristisch betrachten kann. Sayyid Qutb, der sich aufgrund der staatlichen Verfolgung unter Nasser immer weiter radikalisierte, ehe er 1966 vom Regime gehängt wurde, gilt heute noch vielen Muslimbrüdern als Märtyrer der Bewegung, legte mit seinen Schriften allerdings zugleich eine wichtige ideologische Grundlage für den modernen Dschihadismus. So sehr sich später dschihadistische Gruppen auf Qutb bezogen, so wenig zog allerdings die Muslimbruderschaft ähnliche Schlüsse aus seinen Werken, wie seine dschihadistischen Nachfolger.

Die Ideologie der Muslimbruderschaft blieb in einem diffusen Zwischenspiel zwischen der ersehnten Beteiligung an einer Mehrparteiendemokratie und dem Wunsch einer autoritären Einheit von Staat und Religion. In der europäischen Diaspora strebten Muslimbrüder nicht die völlig unrealistische Machtübernahme an, sondern versuchten eigene islamische Institutionen zu schaffen, die muslimischen Communitys zu beeinflussen und ihre Organisationen in der Heimat zu unterstützen. So gab es auch in Österreich nie eine gemeinsam agierende Muslimbruderschaft, sondern verschiedene syrische, ägyptische und tunesische Muslimbrüder, die teilweise schwer zerstritten sind.

Dazu kommen Personen, die zumindest von den Ideen der Muslimbruderschaft beeinflusst in den deutschsprachigen muslimischen Communitys versuchen, politisch zu arbeiten. All diese Aktivitäten zielen durchaus auf eine Hegemonie innerhalb der muslimischen Communitys und eine Einflussnahme auf die politischen Debatten hierzulande ab, allerdings nicht auf die Etablierung einer terroristischen Untergrundorganisation. So ist es selbstverständlich problematisch, wenn die Türkei oder arabische Staaten universitär geadelte Islamophobieforschung finanzieren, Terrorismus ist es nicht. Die Universitäten selbst haben schließlich mit dem Druck, möglichst viele Drittmittel zu lukrieren, ihre Tore auch für politische Einflussnahme geöffnet.

Eher eine Gesinnungsprüfung

Solange man keinem der Beteiligten eine finanzielle Unterstützung für den bewaffneten Kampf der Hamas oder einer der syrischen Milizen nachweisen kann, wird es schwierig werden, die Verdächtigen mit Terrorismus in Verbindung zu bringen. Deshalb dürfen wir gespannt sein, was bei den Hausdurchsuchungen wirklich gefunden wurde. Die Fragen, die bei der Vernehmung mehreren Verdächtigen gestellt wurden, scheinen eher einer Gesinnungsprüfung denn einem Terrorismusverdacht adäquat zu sein. So interessierte sich das Bundesamt für Verfassungsschutz etwa dafür, wie viele Freundschaften mit autochthonen nicht-muslimischen Österreichern gepflegt würden, was man über einen Dialog mit Israel denke, wie man zur Ehe von minderjährigen Mädchen stehe oder was man unter dem Begriff „Islamophobie“ verstehe.

Alles durchaus interessante politische Fragen, die jedoch nichts mit Terrorismus zu tun haben. Im Hausdurchsuchungsbefehl der Staatsanwaltschaft Graz wird der Terrorismusverdacht primär darauf gebaut, die Muslimbruderschaft als Ganzes zu einer terroristischen Organisation zu erklären, ganz ähnlich wie dies Ägypten nach dem Militärputsch von 2013 getan hatte. Die dafür vorgelegten Belege sind dürftig und man behilft sich damit, eine ganze Reihe von Splittergruppen, die teilweise aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen sind, sich aber von dieser getrennt hatten, der Mutterorganisation zuzurechnen. Vor Gericht wird dies in einem Rechtsstaat wohl kaum genügen.

Der Autor ist Politologe an der Universität Wien.

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