Teuerung, Angst und eine Politik der Hoffnung

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Geldleistungen wie der Klimabonus sind im Kampf gegen Armut unverzichtbar – doch sie beseitigen nicht die Ursachen. Notwendig sind soziale Netze mit dauerhaft starken Seilen. Ein Gastkommentar.

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Geldleistungen wie der Klimabonus sind im Kampf gegen Armut unverzichtbar – doch sie beseitigen nicht die Ursachen. Notwendig sind soziale Netze mit dauerhaft starken Seilen. Ein Gastkommentar.

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Armut löst Ängste aus. Angst, die Wohnung nicht warm halten zu können, Angst, sich und den Kindern keine Kleinigkeit gönnen zu können, Angst, durch unerwartete Anschaffungen finanziell überfordert zu sein. Armut stiehlt den Leuten ihr Anrecht auf ein menschenwürdiges Leben und auf Freiheit. Verängstigte und Ausgegrenzte ziehen sich zurück, auch aus der Demokratie, in der sie ihre Interessen nicht mehr wahrgenommen sehen.

In Österreich können zwei Drittel aller Arbeitslosen eine unerwartete Ausgabe in Höhe von 1300 Euro finanziell nicht stemmen, das Gleiche gilt für fast die Hälfte aller Hilfsarbeiter(innen). In einer jüngsten SORA-Umfrage fühlen sich mehr als 80 Prozent der Befragten im unteren Einkommensdrittel von der Politik als Bürger(innen) zweiter Klasse behandelt, nicht einmal ein Fünftel sieht sich im Parlament gut vertreten. Es ist Feuer am Dach.

Die Teuerungswelle verschärft die Armutsgefährdung eklatant. Die 1,3 Millionen Haushalte des unteren Einkommensdrittels sind wegen des exorbitanten Anstiegs der Preise für Strom und Gas, für Mieten und Nahrungsmittel gezwungen, bei anderen notwendigen Ausgaben zu kürzen. Selbst in der Mitte müssen geplante Anschaffungen und Sparziele, etwa für einen Urlaub, zurückgestellt werden. Nur die oberen Einkommensgruppen sind wenig betroffen, für sie bleibt am Ende des Monats nur weniger an zusätzlichen Ersparnissen übrig.

Mit Angst wird Politik gemacht

Die Teuerungswelle löst Angst aus. Mit Angst wird aber auch Politik gemacht. Die neoliberalen Vorschläge für ein degressives Arbeitslosengeld, dessen Höhe mit Dauer der Arbeitslosigkeit sinkt, die Behauptung der Unfinanzierbarkeit des Pensionssystems, die Befristung von Mietverträgen, die Debatte über den angeblich zu großzügigen „Vollkasko“-­Sozialstaat kontrastieren nicht nur mit den täglichen Lebenserfahrungen der Menschen. Mit ihnen wird den Leuten bewusst Angst gemacht. Dahinter stehen die Interessen jener, die mit billiger Arbeit, Pensionskassen, Zinshäusern und Privatversicherungen viel Geld machen.

Emanzipatorische Wirtschaftspolitik muss das Gegenteil tun: Sie muss Angst nehmen und Hoffnung machen. In der Teuerungskrise bedeutet das unmittelbar, Armut zu verhindern. Die Einmalzahlungen der Bundesregierung helfen dabei: 500 Euro Klimabonus sind für eine Alleinerziehende oder einen Arbeitslosen unglaublich viel Geld. Doch es reicht gerade, um für zwei Monate aus der Armut zu kommen. Notwendig sind soziale Netze mit dauerhaft starken Seilen: eine sofortige und markante Erhöhung des Arbeitslosengeldes, der Sozialhilfe, der Mindestpension und des Unterhaltsvorschusses. Geldleistungen sind im Kampf gegen Armut unverzichtbar. Doch sie beseitigen nicht die Ursachen von Armut. Dafür sind Arbeitsplätze mit einem Einkommen notwendig, von dem man gut leben kann. Mit Zugang zu guter Bildung für alle Kinder, nicht nur jene der Bildungseliten. Mit guten Gesundheitsleistungen für alle, ohne Zweiklassenmedizin. Mit sozialer Pflege hoher Qualität statt neuerlicher Akzentuierung der Unterschiede zwischen Arm und Reich gegen Ende des Lebens. Mit leist­barem Wohnen statt Wuchermieten.

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