Trumps Albtraum
Das „religiöse“ Agieren des US-Präsidenten in der aufgeheizten Stimmung ist die unbeabsichtigte Inszenierung politischer Sprachlosigkeit. Ein Gastkommentar von Andreas G. Weiß.
Das „religiöse“ Agieren des US-Präsidenten in der aufgeheizten Stimmung ist die unbeabsichtigte Inszenierung politischer Sprachlosigkeit. Ein Gastkommentar von Andreas G. Weiß.
Krisenzeiten benötigen ihre Helden, Führungspersonen brauchen in schweren Zeiten die Macht inszenierter Bilder. Papst Franziskus hatte es in der Fastenzeit vorgemacht, US-Präsident Trump wollte es ihm gleichtun: Eigentlich hätte es ein symbolträchtiger Auftritt werden sollen, doch könnte dieser Pfingstmontag zum religionspolitisch-medialen Super-GAU für ihn werden: Nach tagelangen, teils gewaltförmigen Protesten in zahlreichen US-Metropolen und einem damit verbundenen Zwist mit Gouverneuren und Bürgermeistern wollte sich US-Präsident Trump wieder einmal von seiner starken Seite zeigen. Abseits schlechter Umfragewerte, steigender Arbeitslosenzahlen und zigtausender Corona-Toten versuchte der krisengebeutelte Präsident, bei treuen Wählergruppen zu punkten. Dieses Mal ohne Hilfe von „Social Media“, sondern in klassisch republikanischer Manier: Einer Rede im Garten des Weißen Hauses, in der sich Trump als Garant für Ordnung und Sicherheit rühmte, sollte ein Gang zur St. John’s Episcopal Church in Washington folgen.
So weit, so unspektakulär, könnte man meinen. Schließlich gehört die Verzahnung zwischen quasireligiöser Erwählung der USA und der politischen Macht ihres Präsidenten seit Jahrzehnten zum gängigen Repertoire der konservativen Partei. Die „religiöse Karte“ hatte sich in der Geschichte schon mehrmals als krisenfester Schachzug herausgestellt, als letzter Trumpf im Ärmel – aufgehoben für die schwersten Krisenzeiten. Das Weiße Haus als Wohn- und Arbeitsplatz des „Man in Charge“ sowie die nahegelegene „Kirche der Präsidenten“ sind nicht nur in vielen Stadtführern miteinander verbunden, sondern sie gehören auch im Selbstbild der USA eng zusammen: Ein neu oder wieder gewählter Präsident besucht hier traditionellerweise am Tag seiner Vereidigung einen Gottesdienst (unabhängig von seinem Bekenntnis), bevor er den Eid auf die berühmte Lincoln-Bibel vor dem Kapitol ablegt. Dennoch wird sich dieser Pfingsttag im Jahr 2020 in das Gedächtnis zahlreicher Menschen einbrennen.
Unausweichliche Konfrontation
Eigentlich sind es nur wenige Hundert Meter zwischen dem Weißen Haus und der St. John’s Episcopal Church. Doch schien diese Distanz just an diesem Pfingstmontag so gut wie unpassierbar: Hunderte Personen tummelten sich in einem (zunächst friedlichen) Protest gegen rassistische Polizeigewalt, wie es – ausgelöst durch den gewaltsamen Tod des farbigen US-Bürgers George Floyd – seit Tagen im ganzen Land geschieht. Die Straßen waren voll von Menschen, die öffentlich gegen unverhältnismäßige Gewaltanwendung seitens staatlicher Einsatzkräfte demonstrieren wollten. Trump hatte die letzten Tage weiter Öl ins Feuer gegossen und drohte via Twitter mit dem Einsatz militärischer Kräfte.
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