Universitäten besetzen für den Neustart

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Nach dem Motto „Erde brennt – Uni besetzen!“ fordern junge Studierende an der Wiener Alma Mater einen „Systemwechsel“. Warum? Und warum auf diese Art? Ein Gastkommentar einer Aktivistin.

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Nach dem Motto „Erde brennt – Uni besetzen!“ fordern junge Studierende an der Wiener Alma Mater einen „Systemwechsel“. Warum? Und warum auf diese Art? Ein Gastkommentar einer Aktivistin.

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Seit dem 16. November ist der Hörsaal C1 am Uni Campus Wien besetzt. Einer der größten Hörsäle der Universität Wien steht nun ganz im Zeichen des Kampfs gegen die vielen Krisen, die unser Zusammenleben bestimmen. Allein in Österreich werden gleichzeitig auch Universitäten in Salzburg und Innsbruck besetzt. In Europa sind momentan bereits 33 Universitäten und Schulen unter dem Namen „End Fossil“ besetzt – weltweit fast 50. Und es werden immer mehr.

Dass die Klimakrise die größte Katastrophe der Menschheitsgeschichte zu werden droht, sehen viele so. Protest wird unterstützt. Schön und gut, heißt es, aber warum die Universitäten besetzen? Was macht man schon Großes aus, wenn ein Hörsaal plötzlich nicht mehr der Einführungsvorlesung in die Soziologie zur Verfügung steht? Hindert das nicht einfach Studierende daran, ihren Bildungsweg zu beschreiten? Was hat das mit dem Klima zu tun?

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Für ein System lernen, das keine Zukunft hat?

Die gleiche Frage wurde bei „Fridays for Future“ gestellt. Sollten die Schülerinnen und Schüler nicht lieber lernen, und wenn sie sich als Klimaheldinnen und -helden fühlen, nach Lösungen für die Klimakrise forschen? Warum die Schule bestreiken? Für Demo und Protest haben sie ja in der Freizeit Zeit genug, wenn es sein muss. Die Antwort ist die gleiche für die Schulen wie für die Unis: Politische Macht haben momentan die, die unsere Zukunft gegen die Wand fahren. Wir können gar nicht so schnell lernen, studieren, organisieren, gewinnen, um jetzt die nötigen Maßnahmen umzusetzen. Aber die, die es können, wollen nicht.

Deshalb wollen wir nicht mehr für ein System lernen, das keine Zukunft hat. Warum für ein System lernen, das auf Unterdrückung und Ausbeutung basiert? Warum für ein System lernen, das uns unaufhaltsam in die Klimakrise treibt? Wir sollen lernen und konstruktive Lösungen hervorbringen? Wie die wissenschaftlichen Generationen vor uns? Haben sie das nicht bereits zur Genüge getan? Seit 50 Jahren wissen wir, dass die Welt in der Klimakrise unterzugehen droht. Seit Jahrzehnten kennen wir die wichtigsten Ansätze der Lösung. Wer hat auf jene gehört, die geforscht und gewarnt haben?

Unser jetziges Wirtschafts- und Sozialsystem bringt uns von einer Krise in die nächste. Und die Universitäten sind sicher nicht das unmittelbar wichtigste Rädchen in diesem System. Aber auch wenn die Uni nur ein kleines Rädchen in unserer Gesellschaft ist, so ist es das Rädchen, das wir als Studentinnen und Studenten blockieren können. Es stehen nicht alle Räder still, nur weil unser Wunsch nach einer klimagerechten Zukunft das will. Aber dieses eine, das schon. Wie viele andere kleine Räder auch. Wir haben nicht die politische Macht, aber politisch ohnmächtig, das sind wir nicht. Die Besetzung der Universitäten macht einen Ort für uns auf, wo Menschen zusammenkommen und sich den Raum nehmen, ihn selbst zu gestalten.

Wir können gar nicht so schnell studieren, um die nötigen Maßnahmen umzusetzen. Aber die, die können, wollen nicht.

Und so klein das Rad der Universität im kapitalistischen System ist, so symbolisch bedeutsam ist es. Die Universität stellt noch heute großen Teilen der Elite ihre Urkunde aus. Während der Großteil der Studierenden arbeiten muss, um ihr Studium zu finanzieren – in der Hoffnung auf den guten Job –, bedeutet Studieren für die meisten immer noch ein Privileg. Kein Wunder, Kinder aus Nichtakademiker-Haushalten schaffen es seltener auf die Uni. Die Elite ist auf den Universitäten nicht mehr unter sich, aber doch zusammen.

Und es sind die Eliten, die entscheiden, welche Richtung unsere Gesellschaft nimmt. Es sind die Eliten, die den Großteil der Klimakrise verursachen. Deshalb gehen wir nicht nur an jenen Orten in Konflikt, wo morgen neue Straßen gebaut werden. Wir nehmen den Kampf um die Orte auf, an denen die Entscheidungsträgerinnen und -träger von morgen erzogen werden.

Man könnte sagen, die Generation „Fridays for Future“ ist erwachsen geworden und nimmt den Protest in die nächste Lebensphase mit. Das stimmt auch zum Teil. Aber es ist eben nur ein Teil der Geschichte. Corona, Teuerungen, Leistungsdruck – schon lange geht es nicht mehr „nur ums Klima“. Die letzten Jahre jagte eine Krise die andere. Was dagegen getan wurde? Gerade einmal das Minimum – und oft nicht einmal das. Wir wissen, wenn wir nicht zur Elite gehören, gehört uns nur eines: das Wissen um eine schlechtere Zukunft.

COP-27-Ergebnis als Armutszeugnis

Wir wollen und können nicht mehr „die Zähne zusammenbeißen“, wie unser Bundespräsident Van der Bellen rät, während Energiekonzerne Rekordgewinne machen. Milliarden für die Reichen, kalte Wohnungen im Winter und Tropennächte im Sommer für uns. Man muss keinen Doktortitel haben, um zu merken, dass da etwas falsch läuft. Die, die etwas ändern können, verhandeln schlechte Kompromisse, an die sie sich noch schlechter halten.

Gerade erst haben Entscheidungsträger(innen) aus über 190 Ländern bei der COP 27 in Scharm El-Scheich wieder zwei Wochen über Maßnahmen gegen die Klimakrise beraten. Das Ergebnis ist ein echtes Armutszeugnis: ein möglichst baldiger Ausstieg aus Kohle und ein Geldfonds für Länder des globalen Südens für anfallende Klimakatastrophen. Kein Wort über Öl und Gas. Protest ist bei dieser Meldung ja fast Pflicht. Die Probleme, vor denen wir stehen, sind vielfältig. Deshalb braucht es den Protest von „Erde brennt“.

Die Autorin ist Publizistik-Studentin, Fotografin und Teil von „Erde brennt“.

Lesen Sie dazu auch die Replik von Christian Schacherreiter.

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