Verwaltung: Das System ist aus dem Gleichgewicht

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Ist die österreichische Verwaltung tatsächlich „verlottert“, wie es mittlerweile heißt? Ein – präzisierender – Gastkommentar über die Schieflage zwischen Politik und Beamtentum.

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Ist die österreichische Verwaltung tatsächlich „verlottert“, wie es mittlerweile heißt? Ein – präzisierender – Gastkommentar über die Schieflage zwischen Politik und Beamtentum.

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Der frühere Sektionschef im Finanzministerium, Thomas Wieser, der seine Karriere auf EU-Ebene fortsetzte und sich in der Euro-Rettung einen Namen machte, geißelte die österreichische Verwaltung unlängst in diversen Kommentaren und Interviews als „verlottertes System“. Besonders kritisiert er den Einfluss der Ministerkabinette auf die Verwaltungen, der in den letzten Jahren massiv gestiegen sei. Wieser weiß, wovon er spricht, er kennt das Finanzministerium wohl wie kein anderer. Ich werde ihm nicht grundsätzlich widersprechen, nur die Akzente etwas präzisieren.

Zunächst zu meinen eigenen Erfahrungen, die ich in der Verwaltung gemacht habe: Es trifft zu, dass die Kabinette in den Ministerien in einer längerdauernden Entwicklung (Wieser setzt den Kulturbruch mit dem Jahr 2006 an, mir scheint, die Entwicklung war schon deutlich früher sichtbar) immer mehr Macht an sich gerissen haben. Es trifft auch zu, dass das fachliche Niveau der dort Mitwirkenden ausbaufähig ist. Ich kann mich an ein Gespräch vor ein paar Jahren mit einem Kabinettsmitarbeiter im damaligen Wirtschaftsministerium erinnern, bei dem ich versuchte, ihm ein verfassungsrechtliches Problem klarzumachen. Seine Unwissenheit musste man ihm angesichts seiner Jugend nicht unbedingt vorwerfen, aber die damit gekoppelte Arroganz war verblüffend. Vor allem aber war er erstaunlicherweise in der Lage, die – eigentlich einfache – Lösung des Problems zu blockieren.

Aufgeblasene Kabinette

Bewusst pauschalierend würde ich behaupten: Der entscheidende Unterschied zu früher ist, dass die Verwaltung noch vor wenigen Jahrzehnten im Wege erfahrener und versierter Sektionsleiter ihre Meinung gegenüber der Führung des Ministeriums durchsetzen konnte, was sie heute gegen den Willen der Kabinette häufig nicht mehr kann. Das System ist aus dem Gleichgewicht geraten.

Nicht nur der Einfluss, sondern auch die Zahl der Mitwirkenden in den Kabinetten hat deutlich zugenommen. Es etablieren sich Parallelverwaltungen sowohl auf Bundesebene als auch, wenngleich nicht in diesem Ausmaß, auf Landesebene: Auf der einen Seite der traditionelle administrative Apparat, der besser als sein Ruf ist und sich in den letzten Jahren, das gilt für die Verwaltungen des Bundes, der Länder und der Gemeinden, im Grunde ganz passabel modernisiert hat. Dieser Apparat arbeitet routiniert und engagiert, auch wenn die Routine zuweilen etwas überbetont wird. Auf der anderen Seite stehen die Kabinette der Mitglieder der Bundes- und Landesregierungen. Auch sie arbeiten engagiert und loyal – für ihre jeweiligen politischen Vorgesetzten.

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