Verzicht: Warum sind "autofreie Tage" eine Zumutung?

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Jahrzehntelange ungebremste Wachstumspolitik hat unser Bewusstsein derart korrumpiert, dass not-wendiger Verzicht unmöglich scheint – und die Politik davor zurückschreckt. Ein Gastkommentar.

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Jahrzehntelange ungebremste Wachstumspolitik hat unser Bewusstsein derart korrumpiert, dass not-wendiger Verzicht unmöglich scheint – und die Politik davor zurückschreckt. Ein Gastkommentar.

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Die gegenwärtigen Krisen – neben Corona vor allem der Ukrainekrieg und seine Folgen sowie der bedrohliche Klimawandel – machen vielen Leuten Angst. Fachleute und auch Politiker(innen) vermelden, dass vieles anders werden müsse: weniger Energieverbrauch beim Heizen oder Beleuchten, Beendigung der Abhängigkeit von Diktaturen, Senkung der Emissionen, nachhaltiges Wirtschaften, Unterstützung notleidender Völker im globalen Süden, um weitere Migrationsbewegungen zu vermeiden u. a. m. Aber große Teile von Politik und Wirtschaft scheinen den Ernst der Lage nach wie vor nicht zu realisieren. Radikale notwendige Änderungen unterbleiben vielfach aus Rücksicht auf „die Wirtschaft“ und deren Wachstum.

Dagegen fragt man sich: Sind diese jetzt „not-wendig“ („Wende durch Not“!) gewordenen Einschränkungen nicht auch als Chancen zu sehen? Freilich muss den sozial Schwachen bei der Bewältigung gestiegener Lebenshaltungskosten geholfen werden. Aber was soll sonst schlecht daran sein, wenn wir mit den Energieressourcen der Erde, deren Begrenztheit uns ja lange bekannt ist, im privaten wie öffentlichen Bereich (Heizen, Beleuchtung) sparsamer umgehen? Wenn wir zu Hause wieder warme Pullis tragen, anstatt auch im Winter in T-Shirts herumzulaufen? Was ist daran schlecht, wenn wir die unsägliche Abhängigkeit von Diktaturen, die uns kurzsichtige oder gar korrupte Wirtschaftsmanager beschert haben, schleunigst beenden? Wenn wir unseren Lebensräumen und der Natur weniger Verkehr zumuten? Und ist es nicht auch ein Fortschritt, wenn wir die achtlose Wegwerfkultur überwinden und Produkte mit längerer Haltbarkeit (auch wenn sie im Moment teurer sind) und entsprechender Reparierbarkeit (Arbeitsplätze!) herstellen?

Not-wendiges Unrechtsbewusstsein

Auch das Unrechtsbewusstsein, dass und wie der globale Süden jetzt schon unter den vom globalen Norden verursachten Klimaschäden leidet, ist doch etwas Not-Wendiges. Dass nun durch den Ukrainekrieg weltweit noch zusätzlich Hunderttausende vom Verhungern bedroht sind (in einer Welt übrigens, deren Nahrungsmittel locker für alle ausreichten!) könnte eine überfällige Sensibilisierung für das Nord-Süd-Unrecht bewirken. Vielleicht entschließt sich dann auch Österreich dazu, endlich das seit Jahrzehnten selbstauferlegte, ohnehin bescheidene Ziel von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe (derzeit mit 0,31 Prozent noch unter dem OECD-Schnitt von 0,33 Prozent) zu erfüllen?

Die Wohlstandsgesellschaften sind damit zu Einschränkungen aufgerufen, zu schonendem Umgang mit Ressourcen und zur Aufgabe einer oft mit „Freiheit“ verwechselten Rücksichtslosigkeit gegenüber der Umwelt (etwa durch Verkehr). „Verzicht“ ist aber ein Unwort für alle, die einem Wachstumsfetischismus anhängen, wonach alles immer besser, schneller und mehr werden müsse! Alternative Wirtschaftswissenschafter(innen) fordern hingegen schon länger, dass mit dem herkömmlichen, rein quantitativen Wachstumsdenken Schluss sein müsse. Ja, sie fordern gemeinsam mit Ökologen sogar ein „Minuswachstum“.

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